Medizin

Künstliche Befruchtung: Feinstaubbelastung verringert Befruchtungserfolg

Stand
Autor/in
Christine Westerhaus
Onlinefassung
Emily Burkhart

Schon lange gibt es den Verdacht, dass die Qualität von Eizellen und Spermien durch Luftverschmutzung abnimmt. Ein Team aus Australien hat sich das nun genauer angesehen.

Feinstaub schadet der Lunge – das ist in unzähligen Studien nachgewiesen worden. Je kleiner die Partikel, umso tiefer dringen sie ins Gewebe vor und schädigen die Zellen. Es liegt also nahe, dass sie besonders bei hoher Feinstaubbelastung auch Schäden in unseren Fortpflanzungsorganen - etwa in den Eizellen - anrichten, sagt Sebastian Leathersich, der bis vor kurzem in einer Fertilitätsklinik in Perth in Australien gearbeitet hat. 

Was wir aufgrund der Daten, die wir haben, im Moment sagen können, ist, dass sich eine hohe Schadstoffbelastung negativ auf die Reproduktion auswirkt. Auf Bevölkerungsebene sehen wir, dass sich das Risiko für Unfruchtbarkeit erhöht, dass es länger dauert, bis eine Schwangerschaft eintritt und dass es häufiger zu Fehlgeburten, Frühgeburten und Missbildungen kommt.

Neuer Forschungsansatz getestet: Liegt es an den Eizellen?

Unbekannt blieb jedoch, wo genau, also in welcher Fortpflanzungsphase sich die Schadstoffe negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken. Bislang hat sich die Forschung vor allem auf das erste Trimester der Schwangerschaft konzentriert. Denn in dieser Phase treten die meisten Probleme auf.

Aber was, wenn die Schäden bereits vorher, bei der Reifung der Eizellen auftreten? Um das zu prüfen, hat sich das Team um Leathersich die Erfolgsrate von fast 3700 künstlichen Befruchtungen angeschaut und sie mit der Feinstaubbelastung verglichen, der die Frauen während der Reifung der Eizellen an ihrem Wohnort ausgesetzt waren.  Ihre Ergebnisse stellten sie auf der Konferenz der Europäischen Gesellschaft für menschliche Reproduktion und Embryologie in Amsterdam vor.

Wir haben in dieser Studie das Schicksal von tiefgefrorenen Embryonen verfolgt. Weil sie erst später eingesetzt werden, liegen oftmals Wochen oder gar Jahre zwischen der Eizellentnahme und dem Transfer in die Gebärmutter. Dadurch konnten wir die Feinstaubbelastung während der Reifung der Eizellen von den Bedingungen während der frühen Schwangerschaft trennen.

Eine Eizelle wird bei einer künstlichen Befruchtung mit einer feinen Nadel punktiert und ein Spermium eingesetzt. Wichtig für den Befruchtungserfolg ist die Feinstaubbelastung der Luft.
Bei einer künstlichen Befruchtung werden Eizellen außerhalb des Körpers in einem Labor befruchtet, um den resultierenden Embryo in die Gebärmutter zu transferieren

Feinstaub schadet vermutlich bereits vor der Befruchtung

Dabei zeigte sich: Wenn die Feinstaubbelastung während der Reifung der Eizellen in den Eierstöcken besonders hoch war, hatten die Frauen eine deutlich geringere Chance auf eine erfolgreiche künstliche Befruchtung. Die Erfolgsquote sank bei hoher Belastung im Vergleich zu niedriger Belastung um 38 Prozent.

Dabei spielte es keine Rolle, wie stark die Feinstaubbelastung der Frauen war, während wir den befruchteten Embryo in ihre Gebärmutter eingesetzt haben. Ausschlaggebend war wirklich die Konzentration an Feinstaub in den Monaten und Wochen, in denen sich die Eizellen entwickelt haben!

Das deutet darauf hin, dass die Eizellen schon während ihrer Reifung in den Eierstöcken durch Feinstaub geschädigt werden. Und dass Embryonen, die aus diesen Eizellen entstehen, sich im Mutterleib nicht oder schlechter weiterentwickeln als unbelastete Zellen. Dass schon geringe Feinstaubkonzentrationen diesen Eizellen einen schlechteren Start ins Leben geben, beunruhigt Sebastian Leathersich.

Eine Frau schaut auf einen negativen Schwangerschaftstest, der nur einer Linie zeigt. Die Befruchtung ihrer Eizellen war nicht erfolgreich.
Für viele Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch birgt eine künstliche Eizellen Befruchtung große Hoffnung

Grenzwerte der WHO zu WHO Feinstaub sind nur wenig ausschlaggebend

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Studie wurde in Perth, also in West Australien durchgeführt, wo die Schadstoffbedingungen geradezu paradiesisch sind. Dort lag die Feinstaubbelastung nämlich an 95 Prozent der Tage, an denen die Forschenden Messungen durchgeführt haben, unterhalb der von der WHO festgelegten Grenzwerte.

Und trotzdem haben wir diesen starken Effekt gesehen. Das zeigt – und ich denke, das ist das wichtigste Ergebnis dieser Studie – dass es keine „sicheren“ Schadstoff-Grenzwerte gibt, wenn es um unsere Gesundheit oder Fruchtbarkeit geht

Die Feinstaubbelastung geht nicht nur von Autos aus, auch an anderen Stellen wird Feinstaub freigesetzt.
Trotz Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte sind gesundheitliche Folgen durch Feinstaub möglich

Bisherige Studien warnen bereits vor Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit durch Feinstaub und Chemikalien

Die neuen Daten reihen sich ein in eine Serie ähnlicher Befunde, die zeigen: Bestimmte Chemikalien reichern sich in den Eierstöcken an, die Zahl der Spermien im Ejakulat nimmt jährlich ab und die Fälle von Hodenkrebs nehmen zu. Und viele Studien zeigten, dass immer mehr Menschen keine Kinder bekommen können, sagt Sebastian Leathersich. 

Wenn wir uns beispielsweise Daten aus den USA anschauen, sehen wir, dass Frauen in derselben Bevölkerungs- und Altersgruppe heutzutage ein größeres Risiko für Fehlgeburten haben, als noch vor 30 Jahren. Auf Populationsebene sehen wir außerdem, dass sich bei Frauen, die in der Nähe einer Autobahn wohnen, das Risiko für Unfruchtbarkeit um 10 Prozent erhöht. Und dass dieses Risiko umso mehr sinkt, je weiter sie von der Autobahn entfernt wohnen.

Ein Wegweiser mit zwei Pfeilen: der eine zeigt Richtung Luftverschmutzung, der andere Richtung Luftreinhaltung. Diese Entscheidung zur Verringerung der Feinstaubbelastung ist ausschlaggebend für die Befruchtung von Eizellen.
Eine Entscheidung für die Verringerung der Feinstaubbelastung könnte ausschlaggebend sein für die Befruchtung von Eizellen

Es ist Zeit gegen die Feinstaubbelastung vorzugehen

Dass sich die Feinstaubbelastung und auch andere Schadstoffe negativ auf die Fruchtbarkeit auswirken, liege damit klar auf der Hand, sagt Sebastian Leathersich. Es sei deshalb höchste Zeit gegenzusteuern.

Ich denke, wir sollten dieses Problem ernst nehmen und anerkennen, dass auch unsere reproduktive Gesundheit direkt von der Umweltverschmutzung betroffen ist. Die Menschen können zwar ein bisschen selbst gegensteuern und ihre Schadstoffbelastung reduzieren. Aber am Ende braucht es größere Veränderungen auf politischer und industrieller Ebene.

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Christine Westerhaus
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Emily Burkhart