Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, etwa 60 Prozent der Betroffenen haben Alzheimer - eine Form von Demenz. Weil es immer mehr alte Menschen gibt, steigen die Zahlen stetig an. Bis 2070 könnten laut Robert Koch-Institut doppelt so viele Seniorinnen und Senioren an Alzheimer leiden wie im Moment. Eine düstere Prognose - doch viele Fachleute halten einen Durchbruch in der Behandlung für möglich. Am 21. September ist Welt-Alzheimertag, und wir haben den aktuellen Stand der Forschung recherchiert.
Wo stehen wir aktuell bei der Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Alzheimer?
In den vergangenen Monaten vielversprechende Entwicklungen, aber auch Rückschläge. Jüngstes Beispiel ist der Wirkstoff Lecanemab. In den USA ist der Antikörper seit Anfang 2023 zugelassen - als erster Wirkstoff, der den geistigen Verfall zumindest ein wenig bremsen kann.
In Europa können Patienten Lecanemab aber nicht bekommen - die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat die Zulassung Ende Juli 2024 abgelehnt. Denn aus Sicht der Europäer ist die Wirkung ziemlich schwach, bestenfalls verzögert sich das Fortschreiten der Demenz um ein paar Monate. Gleichzeitig sind schwere Nebenwirkungen wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn möglich. Die Risiken überwiegen laut EMA den Nutzen. Die Entscheidung ist in der Fachwelt aber durchaus umstritten.
Sind solche Antikörper gegen Alzheimer also eine Sackgasse?
Das kann man noch nicht sagen. Möglicherweise ändert die EMA ihre Entscheidung nochmal, wenn es mehr positive Daten aus anderen Ländern gibt. Außerdem prüft die Behörde gerade noch einen weiteren Antrag auf Zulassung: Auch der Antikörper Dopanemab könnte nach den USA ebenfalls in Europa auf den Markt kommen.
Das Wirkprinzip von Dopanemab ist ähnlich wie bei Lecanemab - der positive Effekt könnte aber etwas größer sein. Aber auch hier ist mit riskanten Nebenwirkungen zu rechnen.
Grundsätzlich funktionieren beide neuen Wirkstoffe nur im Frühstadium von Alzheimer - man braucht also eine sehr gute Diagnostik. Außerdem müssen die Patientinnen und Patienten für die Infusionen in eine Klinik und die ganze Zeit engmaschig per Hirnscan überwacht werden. Das ist sehr teuer und aufwendig – eine große praktische Hürde.
Gibt es Fortschritte mit anderen Ansätzen?
Eine spannende Richtung ist das "Repurposing", also die Umwidmung von Medikamenten. Forscherteams suchen dabei nach Wirkstoffen, die eigentlich für andere Krankheiten zugelassen sind - und vielleicht auch einen Effekt auf beginnenden Alzheimer haben.
Es häufen sich vielversprechende Studien mit Diabetesmedikamenten. Gerade erst ist im British Medical Journal ein Artikel zu Gliflozinen und Alzheimer erschienen. Gliflozine sind eine bestimmte Wirkstoffklasse gegen Zuckerkrankheit.
Die Daten von mehr als 200.000 Menschen mit Diabetes zeigen der Studie zufolge einen gewissen Schutzeffekt: Wer die Medikamente einnahm, hatte ein reduziertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.
Auch bei den neuen Abnehmspritzen wie Wegovy wird eine positive Wirkung vermutet. Studien dazu laufen bereits. Und beim Klassiker Metformin hat gerade eine kleine Studie mit Affen gezeigt, dass ihr Gehirn langsamer altert, wenn sie die Diabetespillen schlucken.
Wie lässt sich der positive Effekt einiger Diabetesmittel auf Demenzerkrankungen erklären?
Was genau im Gehirn passiert, ist noch unklar. Vor allem zwei Faktoren spielen vermutlich eine Rolle: Entweder liegt der positive Effekt daran, dass Entzündungsprozesse im Gehirn gebremst werden - Entzündungen fördern die Ablagerungsprozesse im Gehirn bei Alzheimer. Oder der Zuckerstoffwechsel im Hirn wird verbessert - auch das könnte sich günstig auswirken.
Bisher fehlen aber noch große Studien, die wirklich einen kausalen Zusammenhang belegen zwischen manchen Diabetesmitteln und einem - natürlich nicht kompletten, aber doch gewissen - Schutz vor Alzheimer.
Kürzlich gab es Schlagzeilen, dass die Impfung gegen Gürtelrose auch Alzheimer vorbeugen kann. Was ist da dran?
Das ist eine wirklich spannende neue Forschung. Eine Studie im Fachmagazin Nature Medicine hat bei mehr als 100.000 Menschen untersucht, wie sich Shingrix, der neue Impfstoff gegen Gürtelrose, auf den Ausbruch von Alzheimer auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden wurden vier bis sechs Jahre nachbeobachtet. Alzheimer wurde zwar auch bei einigen Geimpften diagnostiziert - aber im Schnitt rund ein halbes Jahr später als bei den Ungeimpften. Bei Frauen war die verblüffende Wirkung noch stärker als bei Männern.
Noch ist unklar, wieso das scheinbar funktioniert. Eine Theorie geht davon aus, dass die Impfung das Herpes-Zoster-Virus unterdrückt, das wohl eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielt. Weitere Studien müssen jetzt zeigen, ob sich die Ergebnisse bestätigen – und ob man möglicherweise Menschen schon in jüngerem Alter gegen Gürtelrose impfen sollte, um von der Schutzwirkung zu profitieren.
Was weiß man denn sonst inzwischen über mögliche Wege, um Alzheimer vorzubeugen?
Im Juli hat eine Kommission des Fachmagazins Lancet Psychiatry 14 Risikofaktoren für Alzheimer zusammengetragen und die steile These aufgestellt: Damit ließen sich rund 45 Prozent aller Fälle vermeiden. Fachleute halten diese Zahl für viel zu hoch gegriffen.
Aber alle sind sich einig, dass man es zumindest ein Stück weit selbst in der Hand hat, ob und wann eine Alzheimererkrankung ausbricht. Rauchen, Übergewicht und Diabetes steigern das Risiko genauso wie hoher Blutdruck und Bewegungsmangel.
Neu hinzugekommen sind auf der Risikoliste: zu hohe Werte beim LDL-Cholesterin und Sehverlust.
Schlechtes Sehen scheint genauso wie schlechtes Hören den Ausbruch von Alzheimer zu beschleunigen. Möglicherweise geschieht dies indirekt, weil der Austausch mit anderen Menschen erschwert wird und das Gehirn weniger Input bekommt.