Was am 23. März 2001 in der Erdatmosphäre verglühte, waren die letzten Reste der russischen Raumstation MIR, die bis dahin 15 Jahre lang die Erde umkreist hatte. Als an jenem Freitag vor 20 Jahren im Kontrollzentrum nahe Moskau der kontrollierte Absturz eingeleitet wurde, war es das Ende eines großen Raumfahrtprojekts. Nach dem Sputnik-Satelliten 1957 und Juri Gagarins Erstflug 1961 gilt sie als größter Erfolg der sowjetischen und russischen Raumfahrt.
15 Jahre lang war diese erste, auf einen dauerhaften und wissenschaftlichen Betrieb ausgelegte Raumstation das größte menschengemachte Objekt im All. Die Erfahrungen mit der MIR haben entscheidenden Anteil daran, dass die Internationale Raumstation ISS bis heute erfolgreich im All fliegt.
1986 wird die Raumstation in Betrieb genommen
„Die erste Besatzung der neuen sowjetischen Orbitalstation MIR wird in Kürze starten. Dies teilte der Kosmonaut und Raumschiffkonstrukteur Prof. Dr. Konstantin Feoktistow heute gegenüber Radio Moskau mit", so vermeldet die Sprecherin der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ die bevorstehende Raumfahrtsensation: Die Sowjetunion, der große sozialistische Bruderstaat, wird am 13. März 1986 die ersten Kosmonauten zur ersten, auf dauerhaften Betrieb ausgelegten Raumstation schicken.
Nach jahrelanger Planung und dem Zusammenbau in der Erdumlaufbahn, soll die Raumstation MIR nun zeigen, was die Sowjetunion technologisch kann – und auch dabei helfen, nach dem verlorenen „Wettlauf zum Mond“ in der Raumfahrt wieder Ansehen zu bekommen. Doch dann zerfällt die Sowjetunion und der Nachfolgestaat Russland muss das Projekt MIR völlig neu und vor allem international aufstellen.
Internationale Astronauten auf der MIR
Reinhold Ewald flog als ESA-Astronaut zur MIR, hat auf der Raumstation experimentiert und dort auch dramatische Situationen erlebt.
„Wenn man Science-Fiction gesehen hat: Hell erleuchtete Räume, schöne Dekors, schnittig geschnittene Raumanzüge, dann war die MIR natürlich das genaue Gegenteil. Also das war wirklich das Gegenteil von High-Tech, aber es diente dem Zweck, nämlich Menschen für längere Zeit im Weltall am Leben zu halten und auch Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Und das hat es prima hingekriegt, auch zu der Zeit wo ich dann noch an Bord war“, erzählt Reinhold Ewald.
Ab Anfang der 1990er Jahre geben sich die internationalen Raumfahrtagenturen auf der MIR geradezu die Klinke in die Hand, denn niemand will die einzigartige Möglichkeit für Langzeitmissionen im All verpassen. Im März 1992 schickt die Europäische Weltraumagentur ESA mit Klaus-Dietrich Flade den ersten deutschen Astronauten zur MIR, 7 Tage ist er im Weltraum.
Im Oktober 1994 ist Ulf Merbold an der Reihe. Der Physiker arbeitet einen Monat auf der MIR. Es ist der bis dahin längste Aufenthalt eines Westeuropäers im All. Schon ein Jahr später bricht ESA-Astronaut Thomas Reiter diesen Rekord. Mit der EUROMIR 95-Mission ist er insgesamt 179 Tage im Weltraum.
Am 10. Februar 1997 macht sich dann Reinhold Ewald auf den Weg und startet mit dem Raumschiff Sojus-TM 25 Richtung MIR und forscht dort für 20 Tage mit seinen russischen Kollegen, etwa zu Stoffwechselvorgängen und Blutbildung im Weltraum. Die MIR kreist zu dieser Zeit schon über 10 Jahre um die Erde – und das, so sagt Reinhold Ewald, merkte man auch im alltäglichen Betrieb.
„Es war absolut voll. Ein bisschen natürlich auch so eine russische Eigenart, nicht unnötig etwas wegzuschmeißen, es könnte ja noch zu etwas nutze sein. Also, bulgarische Experimente von 1986 wurden da treu-brav noch aufbewahrt. Das füllte sich dann natürlich und das war so eine Hauptschwierigkeit. Suchen und das zielgenaue Finden von Sachen, das ist auf der MIR sicherlich ein Thema gewesen“, erzählt Reinhold Ewald.
Die MIR wird vom Pech verfolgt
Dann kommt es zu einem dramatischen Ereignis. In einer Sauerstoffanlage bricht ein Feuer aus. Das Feuer wird zum Glück schnell gelöscht, doch die Besatzung muss noch 2 Tage lang Atemmasken tragen. Nur die Erfahrung der russischen Kollegen und das vorherige umfangreiche Training, sagt Reinhold Ewald, haben dafür gesorgt, dass es nicht zur Katastrophe kommt.
"Nach einigen Stunden, wo wir die Station auch einigermaßen wieder instand gebracht haben, abgewaschen haben, die Filter ausgesaugt haben, haben wir mit unserem Experimentalprogramm weitergemacht“, erinnert sich Reinhold Ewald.
Man versucht danach, so gut es geht weiterzumachen, doch durch das Feuer wird das Lebenserhaltungssystem der MIR zum ständigen Reparaturfall – und auch in der Folgezeit scheint das Pech die MIR zu verfolgen. Im Juni 1997 soll ein unbemannter Frachter neue Ausrüstung bringen. Beim Anflug versagt die automatische Steuerung, das Raumschiff kollidiert mit der MIR, verursacht ein Loch in der Außenhaut und beschädigt die wichtigen Solarzellen.
Russland entscheidet den kontrollierten Absturz
Die Probleme häufen sich – und bald reicht das russische Raumfahrtbudget bei weitem nicht mehr aus, um neben der Beteiligung an der geplanten, neuen „Internationalen Raumstation“ noch die eigene MIR zu betreiben. Dann, so sagt Reinhold Ewald, musste man in Russland entscheiden.
Im Juni 2000 verlässt die letzte Besatzung die MIR. Am 23. März 2001, fast genau 15 Jahre nach dem Beginn eines der größten Erfolgsprojekte der sowjetischen und russischen Raumfahrt, beginnt dann das Finale des Fluges der MIR. Die Steuerdüsen eines angekoppelten Fracht-Raumschiffes werden gezündet, bremsen die Raumstation ab und bringen sie in eine elliptische Umlaufbahn. Um kurz vor 7 Uhr morgens mitteleuropäischer Zeit verglüht die MIR in der Erdatmosphäre, die letzten Trümmer stürzen schließlich in den Südpazifik, nach dem sie noch einmal leuchtende Spuren am Himmel hinterlassen haben.