Sprache

Entstanden unsere Redensarten vor allem im Mittelalter?

Stand
Autor/in
Rolf-Bernhard Essig

In der Romantik herrscht besonderes Interesse am Mittelalter

Seit der Romantik hatte man beim Publikum sehr viel Erfolg mit dem Mittelalter: Mittelalterromane und Mittelalterdramen entstanden. Und mit dem Film auch die Mittelalterfilme. Die hatten einen unerhörten Erfolg.

Auch bei den Erklärungen für Redensarten und Sprichwörter beginnt man sehr gerne mit der schönen Einleitung "Schon im Mittelalter ..."

Mittelalter umfasst rund 1.000 Jahre

Da stellt sich jedoch die Frage: Welches Mittelalter denn? Wenn wir die grobe Einteilung 500 bis 1500 nehmen, sind das 1.000 Jahre. Und es ist ein Unterschied, ob etwas um 800, um 1100 oder um 1400 im Schwange ist. Da bin ich schon vorsichtig.

Mit der Romantik, mit dieser starken literarischen Betonung des Mittelalters, wurden Wendungen, die im Mittelalter vorkamen, aber gar nicht so häufig waren, plötzlich wichtig und modern. Es gab auch viele bildliche Darstellungen; dadurch sind die überhaupt wieder in Schwange gekommen, nachdem sie eigentlich gar nicht mehr so beliebt gewesen waren. "Nägel mit Köpfen machen" geht zum Beispiel definitiv auf das Handwerk des Nagelschmied zurück, der einen schweren Baunagel zu schmieden hatte. Das erforderte harte und gute Arbeit. Das wurde erst um 1800 zu einer Redensart, obwohl die Grundlage dafür wesentlich älter war.

Beispiel "Holzauge, sei wachsam!"

Bei "Holzauge, sei wachsam" kann man klar sagen, dass es hierzu falsche Behauptungen gibt. Dass der Ausdruck nämlich von einer drehbaren Kugel in einer Schießscharte herkomme. Oder von einer Art Guckloch in Toren von Burgen. Denn diese Redensart kommt aus dem Kartenspiel; da ist sie besonders beliebt. Sie ist vor dem Zweiten Weltkrieg praktisch überhaupt nicht zu finden – vielleicht ein paar Jahre davor, aber keineswegs im Mittelalter oder auch nur im 16. der im 17. Jahrhundert. Es ist definitiv später erfunden worden. Wer Karten spielt, weiß, dass das damit einhergeht: eine ganz bestimmte Geste nämlich. Man zieht das untere Augenlid nach unten.

Es ist nicht hundertprozentig möglich zu erklären, woher es wirklich kommt. Aber wenn man sich die Lexika ansieht, findet man "Holzauge" als Bezeichnung für das "Astloch" und durch das Astloch schauen. Das kommt zum Beispiel bei Friedrich Schiller in "Kabale und Liebe" vor.

"Und wenn du aus jedem Astloch ein Auge strecktest und vor jedem Blutstropfen Schildwache ständest ..."

Es kommt aber auch später, gerade im soldatischen Zusammenhang, bei vielen Witzen vor, wo Männer durch Bretterzäune schauen, hinter denen leicht oder gar nicht bekleidete Frauen zu sehen sind. Im Fliegerjargon war das Holzauge ein Jagdflieger, der auf seinen Rottenführer ein besonderes Auge hatte, oder auch die Kokarde an feindlichen englischen Bombern.

Das alles spielt hier zusammen. Es ist wohl so, dass man mit eine Art bösem Witz darauf anspielt, dass selbst eine Holzprothesen von einem Auge, das wäre ja eigentlich ein Glasauge, selbst dieses Auge müsste wachsam sein. Gerade im Zusammenhang mit dem soldatischen Herkunftsgebiet und mit dem Jagdfliegen kann man sich vorstellen, dass das sehr leicht in das Kartenspiel und über das Kartenspiel in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist. Aber mit dem Mittelalter hat es nichts zu tun.

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Rolf-Bernhard Essig

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