Gesellschaft

Darf man noch "Indianer" sagen?

Stand
Autor/in
Gábor Paál
Gábor Paál

Ja. Das mag manche überraschen, doch die Frage, ob man heute noch von "Indianern" sprechen sollte, stellt sich nicht erst seit der Debatte um Winnetou-Filme und -Bücher. Dabei spielt auch eine Rolle, wie die indigenen Bevölkerungsgruppen selbst den Begriff empfinden.

Frei sprechen, ohne zu diskriminieren

Grundsätzlich ist es keine Frage des Dürfens. Dürfen klingt immer so, als würde man bestraft und verhaftet, wenn man etwas Bestimmtes sagt. Meines Wissens gibt es aber in Deutschland nicht ein einziges einzelnes Wort, das auszusprechen verboten wäre. Aber hinter der Frage steckt ja etwas anderes.

Parallen und Unterschiede zum "N-Wort"

Es gibt viele Wörter, eben vor allem Sammelbezeichnungen für Menschen bestimmter Herkunft, die heute aus guten Gründen verpönt sind, weil sie diskriminierend sind und andere verletzen. Dazu gehören viele Wörter, die aus der Kolonialzeit stammen. Beispielsweise hatten Schokoküsse früher eine andere Bezeichnung, die aus dem gleichen Grund geändert wurde, wie man sich in Berlin entschlossen hat, die "Mohrenstraße" umzubenennen.

"Native American", "First Nations" oder "Indigene" als alternative Begriffe

Man könnte nun Gründe finden, auch nicht mehr von Indianern zu sprechen. Zum einen stammt das Wort offensichtlich aus der Kolonialzeit – als Kolumbus noch dachte, er wäre auf dem Weg Richtung Indien (anders als oft behauptet glaubte er nie, dort gewesen sein zu sein). Und es ist keine Eigen-, sondern eine Fremdbezeichnung für zum Teil recht unterschiedliche Volksgruppen auf dem amerikanischen Kontinent.

In der Debatte um Winnetou-Bücher oder -Filme kocht diese Diskussion immer wieder hoch. Hier dreht sich der Streit allerdings vor allem um die Darstellung indigener Bevölkerungsgruppen und um "kulturelle Aneignung".

Muss man aber deshalb den Begriff Indianer abschaffen? Es gibt ja längst auch andere Begriffe, die stattdessen verwendet werden: "Native American" oder "First Nations" oder im Deutschen "indigene Bevölkerung". Aber auch das sind keine Eigenbezeichnungen, sondern ebenfalls Sammelbegriffe für recht unterschiedliche ethnische Gruppen. Sie sind daher nicht besser oder schlechter als der Ausdruck Indianer.

Sammelbezeichnungen haben praktischen Nutzen

Grundsätzlich sind Sammelbezeichnungen nicht verwerflich, sondern bringen lediglich die historische Tatsache zum Ausdruck, dass vor Kolumbus schon Menschen auf dem amerikanischen Kontinent lebten, die man manchmal gerne mit einem Wort zusammenfassen möchte. So wie wir auch von Europäern oder Balten sprechen, was ja auch Sammelbegriffe sind.

Indigene verwenden selbst den Begriff "Indian"

Entscheidend ist deshalb eine weitere Frage, nämlich: Wie geht es den indigenen Bevölkerungsgruppen selbst mit dem Wort? Empfinden sie es als diskriminierend oder können sie damit gut leben? Tatsächlich stören sich viele nicht an den englischen Bezeichnungen "indian", "American indian" oder "Amerindian", wie es manchmal zusammengezogen wird. Es gibt auch politische Organisationen indigener Bevölkerungsgruppen und soziale Bewegungen, die das Wort "indian" im Namen führen, etwa die "American Indian Movement", die sich für die Rechte Indigener einsetzt, ähnlich wie der "American Indian Youth Council" oder der "National Congress of American Indians".

"Indianer" gilt derzeit überwiegend als unproblematisch

Aus diesen Gründen verwenden viele auch reflektierte Fachleute den Begriff Indianer weiter, so zum Beispiel die Historikerin Heike Bungert. Sie hat 2020 ein Buch geschrieben, das heißt: "Die Indianer: Geschichte der indigenen Nationen in den USA". Auch sie hält das Wort Indianer für unproblematisch.

Sprachempfinden kann sich wandeln

Wenn also die Frage lautet "Gilt das Wort Indianer als diskriminierend oder rassistisch?", wäre die Antwort: "Nach vorherrschender heutiger Auffassung nicht." Ob das für alle Zeit gilt, bleibt abzuwarten, denn Sprachempfindungen können sich ändern.

Was viele, auch der so bezeichneten Indigenen stört, ist weniger das Wort Indianer, als wenn Menschen sich klischeehaft als Indianer verkleiden. Aber das ist ein Thema für sich.

Stuttgart

Kritik von Indigenen in Stuttgart Verkleidung als Indianer: Ist das noch erlaubt?

Indigene Gäste in Stuttgart irritiert es, wenn sich Kinder und Erwachsene an Fastnacht als Indianer verkleiden. Für sie stecke dahinter zu viel Klischee und zu wenig Respekt.

Indianer in den USA Neues Selbstbewusstsein der Native Americans

Unsere Winnetou-Klischees sind überholt. Mit dem Leben der Indigenen in den USA haben sie nichts zu tun. Die sind zwar weniger sichtbar als andere Minderheiten, aber selbstbewusst.

SWR2 Wissen SWR2

Indigene, Kolonialismus und Rassismus

Buchkritik Heike Bungert: Die Indianer. Geschichte der indigenen Nationen in den USA

Die Historikerin Heike Bungert legt eine fundierte Gesamtdarstellung der Geschichte der indigenen Kulturen Nordamerikas vor; der Begegnung der Indianer mit den Euroamerikanern, der Vertreibung und dem Widerstand gegen die Zerstörung indigener Gesellschaften. Rezension von Claudia Fuchs. C. H. Beck Verlag ISBN 978-3-406-75836-2 286 Seiten 16,95 Euro

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

15.12.1890 Die Indianerpolizei erschießt Sitting Bull

Tatanka Yotanka hat die die Armee von General Custer am Little Big Horn geschlagen. Es war ein Pyrrhus-Sieg. Danach wurden er und die Lakota erbarmungslos gejagt.

SWR2 Zeitwort SWR2

Kartografie Wie kommen die Westindischen Inseln zu ihrem Namen?

Aus Sicht der europäischen Seefahrer gab es zwei Gruppen von "indischen Inseln". Und Kolumbus wollte eigentlich gar nicht explizit nach Indien. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Redensart Woher kommt "jemand spricht mit gespaltener Zunge"?

Die gespaltene Zunge in der Redensart bezieht sich auf die Schlange. Diese Tiere haben häufig eine vorne verzweigte Zunge, mit der sie sehr viel wahrnehmen. Von Rolf-Bernhard Essig

Rassismus Warum gibt es keine "Menschenrassen" – Tierrassen gibt es doch auch?

Der Vergleich mit Tierrassen führt in die Irre. Und auch die Genetik hat die Idee von Menschenrassen widerlegt. Von Gábor Paál | Dieser Beitrag steht unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Derzeit gefragt

Architektur Dom, Münster, Kathedrale, Basilika – Was sind die Unterschiede?

Ein Dom ist ein großes, historisch bedeutsames Kirchenhaus. Ebenso die Kathedrale, aber Kathedralen sind außerdem Bischofssitz. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Chemie Warum ändert Rotkohl seine Farbe je nach "Zutat"?

Rotkohl oder Blaukraut? Beides ist richtig. Man kann mit Rotkohlsaft, Essig und Backpulver sogar alle Farben des Regenbogens erzeugen. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitgeschichte Gab es Zusagen an Moskau, die NATO nicht nach Osten zu erweitern?

Wurde in den Verhandlungen 1990 eine entsprechende Zusage getroffen? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Gesundheit Mit dem Rauchen aufhören: Wann ist der Körper wieder auf Nichtraucherniveau?

Das Rauchen hat viele Auswirkungen auf den Körper. Manche verschwinden, wenn man aufhört, schneller, andere brauchen länger. Recht schnell verschwinden die unmittelbaren Symptome, also der Raucherhusten und die Kurzatmigkeit. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Holocaust 6 Millionen ermordete Juden – Woher stammt diese Zahl?

6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten ermordet. Rund 4 Millionen Menschen starben in Konzentrations- und Vernichtungslagern, 2 Millionen durch Massaker. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0. | http://swr.li/holocaust