Es war inmitten der Hochzeit ihres Sohnes, als Mariam und ihre Familie an jenem frühen Morgen von Schlägen an der Tür geweckt wurden. „Ich wusste zunächst nicht, wegen wem sie da waren. Sie kamen angefahren in 34 Militärfahrzeugen.“ Schnell zieht sich Mariam noch ihre dunkle Burka an, bevor sie den Rebellen aufmacht. Wenige Sekunden später kauert die ganze Familie am Küchenboden. Umrundet von vermummten Huthi-Rebellen, die mit ihren Waffen wild gestikulierend Warnschüsse abfeuern. Als ihr Sohn Widerstand leistet, werfen die Männer Handgranaten ins Haus, welche die Braut und viele andere Familienmitglieder verwunden. „Ich schmiss mich schützend auf meinen Sohn. Sie packten mich am Kopf und rissen mich von ihm weg.“ Noch vor dem Morgengrauen werden sowohl der Sohn als auch zwei Onkel von den Huthis gewaltsam verschleppt. Es vergehen Monate, bis Mariam ihren schwer verwundeten Sohn in einem Huthi-Gefängnis ausfindig machen kann.
Autorin Sabrina Proske zum Film
Jemenitische Frauen kämpfen für ihre Männer und Söhne
So wie Mariam ergeht es vielen Frauen im Norden des Landes. Seit der Machtübernahme in der jemenitischen Hauptstadt durch die Al-Houthi-Rebellen ist der Jemen ein Land voller Schmerzen. Die Ausbreitung der Huthis im Norden des Landes und sein unermüdlicher Krieg lässt die Menschen bluten. Und der Zauber, der einst diesen Landstrich umgeben hat, ist für viele Millionen Jemeniten umfassendem Leid gewichen. Im ganzen Land herrschen Hunger, Unterdrückung. Folter und politische Verschleppungen sind an der Tagesordnung. In Mariams Nachbarschaft in Sanaa gibt es kaum eine Familie, die noch komplett ist. Das deutsche Auswärtige Amt spricht von über 17.000 Menschen, die in den letzten Jahren im Jemen entführt wurden. Darunter vor allem Männer. Sie werden in eins der über hundert Gefängnisse im Jemen gebracht, misshandelt, gefoltert und in vielen Fällen hingerichtet. Um die Männer aus den illegalen Gefängnissen zu befreien, engagiert sich seit 2016 der Frauenverband „Abductees Mothers Association“.
Protest unter Lebensgefahr
Eine versteckte Kamera folgt den Müttern und Ehefrauen der Untergrund-Organisation und zeichnet eine persönliche und authentische Momentaufnahme aus Sanaa. Der Film zeigt, wie die Frauen ihren Protest auf die Straße und sich damit oft selbst in Lebensgefahr bringen. „Egal wo wir hingehen, müssen wir aufpassen, dass die Rebellen uns nicht angreifen, beschimpfen oder gefangen nehmen.“ Die rund 30 Frauen organisieren Sitzstreiks, sind beteiligt an Verhandlungen zum Gefangenenaustausch und sprechen vor Ausschüssen und Organisationen. „Wir machen das, damit internationale Organisationen auf uns aufmerksam werden. Dabei geht’s uns nicht nur um unsere eigenen Verwandten, sondern um alle Männer, die inhaftiert wurden.“
Arbeit aus dem Exil
Einige Frauen aus dem Mütterverband mussten das Land verlassen, weil ein Leben im Jemen zu gefährlich für sie geworden war. Darunter ist Amat Assalam Al-Hadj, die Vorsitzende des Mütterverbands. „Ich habe meine ganze Familie und meine Heimat hinter mir gelassen, weil ich vor den Rebellen flüchten musste. Ich habe Angst zurückzukehren, weil die Methoden der Rebellen auch Frauen gegenüber immer krasser werden.“
Die Autorin reist zu ihr nach Amman, und begleitet sie auf ihrer humanitären Mission, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und mit den Müttern im Jemen eine Lösung für die Entführten zu finden. Den Schmerz, die Kraft und den Kampf der Frauen in Sanaa, den die Autorin im Jementeil des Films allein durch Stimmen, Atem und Augen erfahrbar macht, bekommt mit der Vorsitzenden des Verbandes in Jordanien ein Gesicht. Amat übernimmt politische Verantwortung für das, was seit fünf Jahren in ihrer Heimat passiert und motiviert junge Mädchen, für einen Paradigmenwechsel im Jemen zu kämpfen. „Ich bin sehr stolz auf die Frauen, die im Jemen unter den Huthis leben. Sie gehören zu den mutigsten Frauen im ganzen Land.“ In einer kriegsmüden Gesellschaft, in welcher über den Bodentruppen der Al-Huthis von oben die Arabische Koalition ihre Runde dreht, sind es vor allem die Frauen im Jemen, die das Land aus dem Krieg führen und sich damit auch einen Weg aus dem Patriarchat bahnen. „Wir schaffen als Frauen hier was, wozu Männer niemals fähig wären.“
Traumatisierte Familien
Im Istanbuler Exil trifft die Autorin auch auf Jusef. Er wurde über zwei Jahre im jemenitischen Gefängnis gefoltert. Der Journalist war 2017 von der Rebellengruppe entführt, gedemütigt und misshandelt worden. Während der Haft unterstützte ihn seine Frau Taghreed. Sie brachte ihm heimlich Essen sowie Medikamente und versuchte durch öffentliche Proteste die internationale Presse auf die Menschenrechtsverletzungen in den jemenitischen Gefängnissen aufmerksam zu machen. Als er schon längst die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit aufgegeben hatte, wurde er im Zuge eines organisierten Gefangenenaustauschs gegen einen führenden Al-Huthi Rebellen freigelassen. Seitdem sind sechs Monate vergangen. Er hat mit seiner Familie ein neues Leben in Istanbul angefangen, doch die Erinnerungen an die Zeit hinter Gittern bleiben.
Jemen – eine Gesellschaft im Umbruch?
Und auch wenn bereits die nächsten Bomben über Sanaa fallen und viele Angehörige noch immer auf die Freilassung ihrer Männer warten, entlässt der Film den Zuschauer mit einem positiven Blick nach vorne. Denn das, was die Frauen seit der Machtübernahme der Huthis, im Jemen gerade schaffen, ist vielleicht der Weg in eine neue, weniger männerdominierte Gesellschaft. „Die Männer haben sich gewundert, zu was ihre Frauen fähig sind.“ „Jemen – Die Mütter der Entführten“ entzieht sich dabei den stereotypischen Vorstellungen des Westens von der arabischen Frau und zeigt nahbar und ehrlich, nie explizit politisch, eine Momentaufnahme aus dem Jemen.