Stäb: stationsäquivalente Behandlung
Für die meisten der etwa drei Millionen Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland psychische Auffälligkeiten zeigen, gilt immer noch die Alternative: "Ambulanz oder Station". Doch wenn man Kinder und Jugendliche psychiatrisch diagnostizieren und therapieren will, muss man den Kontext kennen, in dem sie leben. Nur so lässt sich wirklich beurteilen, wie stark ihre Störungen sind und welche Faktoren dazu beitragen.
Home Treatment: Behandlung zu Hause
Die stationsäquivalente Behandlung unter dem Namen „StäB“ wird von den Krankenkassen standardmäßig bezahlt – auch für Kinder und Jugendliche. "Stationsäquivalent" ist dabei so definiert, dass einmal am Tag ein Therapeut oder eine Therapeutin bei den Betroffenen sein muss. Dies wird auch "Home Treatment" genannt, was bedeutet: die Behandlung zu Hause.
Für Erwachsene gibt es im Bundesgebiet bereits einige erfolgreiche Hometreatment-Angebote. Bei Kindern und Jugendlichen dagegen sieht es anders aus. Bisher bietet nur die LVR-Klinik in Viersen das StäB-Programm für Kinder und Jugendliche an. Und als Vorreiter seit Anfang 2018 die Klinik in Ravensburg-Weissenau.
Therapieteam erarbeitet Behandlungsplan und definieren Ziele
Das StäB-Team in Ravensburg-Weissenau besteht aus einer leitenden Fachärztin und zwei sogenannten "Fallgruppen", die sich drei Familien teilen und für sie verantwortlich sind. Dazu gehören eine Psychologin, ein systemischer Familientherapeut und eine Jugend- und Heimerzieherin. Außerdem Erlebnispädagogen sowie Kunst- und Ergotherapeuten, die je nach Bedarf eingesetzt werden.
Wenn Ärzte und Therapeutinnen der Meinung sind, dass die Behandlung zu Hause besser für den jungen Patienten ist, kann ohne große Bürokratie damit begonnen werden. Vorausgesetzt natürlich, die Eltern sind einverstanden. Zu Beginn entwirft das StäB-Team zusammen mit dem Patienten und den Eltern einen Behandlungsplan. Er definiert genaue Ziele.
Über den täglichen Besuch eines Therapeuten oder einer Therapeutin hinaus gibt es einen Notdienst, den man rund um die Uhr erreichen kann. Üblicherweise dauert die Therapie dann sechs Wochen. Das Konzept wird für Kinder zwischen fünf und 17 Jahren angeboten – und das Team kann mit ganz unterschiedlichen psychischen Problemen konfrontiert werden.
Therapeuten im StäB-Team können Familie mit einbeziehen
Therapeutinnen und Therapeuten sind für die unterschiedlichsten Problemfelder ausgebildet. Als StäB-Mitarbeiter müssen sie noch zusätzliche Voraussetzungen mitbringen. Die Heilpädagogin Gabi Kugel berichtet, dass sie etwa nach einer Woche die Problematik auf dem Tisch hat. Wenn sie auf der Station arbeitet, dann oft nur mit dem Kind und nicht mit seinen Angehörigen – so dauert die Diagnose länger.
Home Treatment spart Geld
Ab und zu entdecken die StäB-Therapeuten auch Verstöße gegen das Kindeswohl – von Vernachlässigung bis zum sexuellen Missbrauch. Sie erkennen sie meist, noch bevor das Jugendamt aufmerksam wird. Denn sie sind näher an der Konfliktzone und können bei Bedarf das Amt frühzeitig informieren. Und – selbst für die Psychiater etwas überraschend: Hometreatment ist bisher sogar billiger im Vergleich zu einer stationären Behandlung.
Therapeutischer Effekt hält länger an
Je nach Diagnose kann die Therapie zu Hause geeigneter sein – und verschafft den Therapeutinnen und Therapeuten eine größere Perspektive. Sie nehmen mehr alltägliche Konflikte wahr und können gezielter und schneller auf Situationen reagieren. Und laut Studien halten die therapeutischen Effekte bei den Kindern und Jugendlichen im Home Treatment länger an. Und die Eltern lernen, besser mit ihren Kindern umzugehen.
SWR 2019