SWR2 Wissen

Vertrauen – Instinkt oder lebenslange Übung?

Stand
Autor/in
Johanne Burkhardt
Johanne Burkhardt
Onlinefassung
Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Vertrauen ist ein tiefsitzendes, menschliches Bedürfnis. Wie kann man Vertrauen lernen? Und glauben misstrauische Menschen häufiger an Verschwörungstheorien?

Grundvertrauen entwickelt sich erst mit der Zeit

Vertrauen ist uns nicht angeboren – lediglich die Bereitschaft dazu. Das eigentliche Vertrauen müssen Kinder erst lernen, indem sie viele vertrauensvolle Erfahrungen machen.

Werden die Bindungssignale und die dahinterstehenden Bedürfnisse eines Kindes erkannt und gestillt, kann sich nach und nach das sogenannte Grundvertrauen ausbilden – viele nennen es Urvertrauen. Doch der Begriff Urvertrauen ist missverständlich, da sich Grundvertrauen erst mit der Zeit entwickelt.

Das Missverständnis entstand wahrscheinlich durch einen Übersetzungsfehler: Der Psychoanalytiker Erik Erikson sprach von "basic trust", also einem grundlegenden Vertrauen, dass die Welt sicher und gut ist. Übersetzt wurde es mit "Urvertrauen".

Der eigene Charakter hat Einfluss auf das Vertrauen

Unser Charakter beeinflusst, wie sehr wir vertrauen. Menschen mit höherer Risikobereitschaft vertrauen eher als jene mit einer geringen "betrayal aversion", also der Angst, verraten zu werden, so Persönlichkeitspsychologin Isabel Thielmann vom Max-Planck-Institut Freiburg. Und ein Restrisiko bleibt immer.

Kann man Vertrauen nach einem Seitensprung wieder lernen?

Seitensprünge seien die häufigsten Gründe für verlorenes Vertrauen, sagt Alix Heselhaus. Sie ist systemische Paar- und Sexualtherapeutin in Münster. Die Paare, die in ihre Praxis kommen, haben meistens das Vertrauen ineinander verloren.

Paartherapie: Nach einem Vertrauensbruch kommt es nicht auf Kontrolle, sondern auf die Beständigkeit vertrauensstiftender Momente an
Paartherapie: Nach einem Vertrauensbruch kommt es nicht auf Kontrolle, sondern auf die Beständigkeit vertrauensstiftender Momente an

Das verlorene Vertrauen lässt sich nur durch vertrauenswürdiges Verhalten wiederherstellen. Es geht dabei darum, sich vertrauenswürdig zu verhalten und nicht sich kontrollieren zu lassen, so Alix Heselhaus. Ähnlich wie beim Erlernen des Grundvertrauens nach der Geburt, kommt es nach einem Vertrauensbruch auf die Beständigkeit vertrauensstiftender Momente an.

In Krisen zeigt sich das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung

Nicht nur in privaten Krisen, sondern auch in der Corona-Pandemie zeigt sich, wie das Vertrauen der Gesellschaft in die Regierung schwankt. Denn Vertrauen ist soziales und politisches Kapital. Es ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.

"Zusammen wird sichtbar": Lichtaktion für Solidarität und Demokratie auf dem Odeonsplatz in München am 10. Februar 2022, auch als Dank an die Mitarbeitenden in den Sozial- und Gesundheitsberufen während der Corona-Pandemie
"Zusammen wird sichtbar": Lichtaktion für Solidarität und Demokratie auf dem Odeonsplatz in München am 10. Februar 2022, auch als Dank an die Mitarbeitenden in den Sozial- und Gesundheitsberufen während der Corona-Pandemie

Jan Wetzel, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Vertrauen aus soziologischer Perspektive erforscht, vergleicht das Vertrauen in Krisen mit einer Fieberkurve, die am Anfang sehr hoch steht. Krisen, so Jan Wetzel, seien die Stunden der Regierung. In einzelnen Gesellschaftsbereichen hingegen beobachtet Jan Wetzel durchaus ein erstarktes Misstrauen. Gerade Querdenker und Impfgegnerinnen erlebten in der Pandemie einen subjektiven Kontrollverlust.

Glauben misstrauische Menschen häufiger an Verschwörungstheorien?

In ihren Untersuchungen zeigt sich, dass Menschen, die anderen und der Gesellschaft eher misstrauen, auch eher an Verschwörungstheorien glauben, so Isabel Thielmann. Die Persönlichkeitspsychologin vom Max-Planck-Institut Freiburg untersucht in ihrer aktuellen Forschung den Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und Populismus.

Wer vertrauen kann, geht leichter durchs Leben

Vertrauen ist ein tiefsitzendes, menschliches Bedürfnis. Misstrauen mag zwar manchmal angebracht sein, doch wer vertraut und vor allem neu vertrauen kann, geht leichter durchs Leben, darin sind sich die Fachleute aus der Psychologie einig. Ob im Kleinen, Zwischenmenschlichen, oder in der ganzen Gesellschaft.

Aula Vertrauen – Die Basis des sozialen Miteinanders

Sich auf andere verlassen können: Vertrauen ist ein Grundpfeiler des sozialen Miteinanders. Der Philosoph Wilhelm Schmid über die Frage, was Vertrauen ist und weshalb es früher leichter war, Vertrauen aufzubauen.

SWR2 Wissen: Aula SWR2

Wie es entsteht, und warum es so wichtig ist Vertrauen

Wir müssen den Virologen vertrauen, den Politikern, unseren Nachbarn. Doch wie ist es eigentlich um unsere Fähigkeit zu vertrauen bestellt? Wem vertraue ich und warum?

SWR2 Leben SWR2

Gesellschaft Mediation statt Gerichtsstreit – Familienkonflikte lösen

Bei Trennung, Konflikten am Arbeitsplatz, Streit ums Erbe: Mediation hilft, eine Einigung zu finden, mit der die Streitparteien gut leben können. Es müssen aber alle mitmachen.

SWR2 Wissen SWR2

Psychologie Wie wir Krisen bewältigen – Resilienz und ihre Grenzen

Widerständen trotzen und durch Krisen gehen – die Superkraft der Psychologie heißt Resilienz. Haben wir alle das Zeug zum Stehaufmenschen und ist das überhaupt das Ziel?

SWR2 Wissen SWR2

Gesellschaft Verschwörungsmythen – Was tun, wenn Familie und Freunde abdriften?

Great Reset, QAnon, Pizzagate, der Deep State oder Fernsteuerung mittels Impfung durch Bill Gates: In der Corona-Pandemie glauben mehr Menschen an Verschwörungsmythen. Wieso sind die gerade in Krisenzeiten so attraktiv? Und was hilft, um Betroffene beim Ausstieg zu unterstützen?

SWR2 Wissen SWR2

Psychologie

Bildung Schüler fühlen sich oft belastet und sind unzufrieden in der Schule

Viele Schülerinnen und Schüler finden den Schulunterricht in Deutschland so schlecht, dass er sie psychisch belastet.
Das ist ein Ergebnis des Deutschen Schulbarometers. Sie fühlen sich oft überfordert und sind auch mit ihren Lehrkräften oft unzufrieden.
Jochen Steiner im Gespräch mit Dr. Dagmar Wolf, Robert Bosch Stiftung

Impuls SWR Kultur