Wie gefährlich sind Operationen für ältere Menschen?
Viele halten das Risiko einer Operation im hohen Alter für zu groß. Auch wegen der oft notwendigen Vollnarkose. Doch das Risiko, aus der Narkose nicht mehr aufzuwachen, ist praktisch null. Das gilt auch für Hochbetagte. Denn während der Narkose werden die Patienten so gut überwacht wie auf einer Intensivstation.
Die eigentliche Narkose-Gefahr: Überdosierung
Was aber passieren kann - und erst seit kurzem bekannt ist: Das Gehirn älterer Menschen reagiert sensibler auf Narkosemittel als bisher vermutet. Unbemerkt kann es zur Überdosierung kommen. Das erklärt manche lang anhaltenden Verwirrtheitszustände - auch Stürze - nach einer OP. Insgesamt aber garantieren moderne OP- und Narkosetechniken auch Hochbetagten eine sichere und fast risikofreie OP. Die eigentlichen Gefahren lauern in der Phase nach dem Eingriff.
Hohe Sterblichkeitsrate in den ersten vier Wochen nach einer Operation
Auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie wurden im September 2018 brisante Daten präsentiert. Erstmalig erklärt eine von der Bundesregierung finanzierte und den Ortskrankenkassen unterstützte wissenschaftliche Erhebung, dass alte und gebrechliche Menschen in unseren Krankenhäusern - teilweise - ein Risiko eingehen.
Sie stellten eine Studie vor, bei der Mediziner am Beispiel des Oberschenkelhalsbruch untersuchten, wie die Patienten nach einer Operation zurecht kommen. Nach dieser Erhebung sterben im Schnitt zehn Prozent der operierten älteren Patienten in den ersten vier Wochen nach dem Eingriff.
Jeder achte OP-Patient ist 80 Jahre alt oder älter
Frieda N. ist 84 Jahre alt. Sie stand vor der Frage: Lässt sie sich in ihrem Alter noch eine künstliches Hüftgelenk einsetzen? Viele rieten ihr von dem Eingriff ab. Selbst ihr Hausarzt fand, dass das in ihrem Alter nicht mehr günstig ist. Sie entscheidet sich schließlich für die Operation - und ist heute froh.
Für ältere Menschen sind minimal-invasive Eingriffe am besten
Durchgeführt wurde der Eingriff in der Klinik für Orthopädie und Endoprothetik der Uniklinik Leipzig. Es war eine minimal-invasive Operation. Konkret heißt das: nur ein kleiner Hautschnitt, wenig Gewebeverletzung und intensive Schmerztherapie. Bei dieser Operationstechnik bluten die Patienten kaum, was ihr Herz schont und den Kreislauf. Bettruhe nach der OP ist nicht mehr notwendig. Für alte Menschen die perfekte Operationstechnik.
Frau N. konnte sofort nach dem Eingriff aufstehen. Am Tag danach sitzt sie schon am Kaffeetisch und strahlt. In wenigen Tagen wird die 84 Jährige eine Frührehabilitation machen und danach nach Hause gehen. Die Entscheidung zur Operation scheint also richtig gewesen zu sein.
Ziel ist, dass der Patient schnell wieder auf die Beine kommt
Denn Bettruhe ist gerade im Alter gefährlich. Schnell kommt es da zu einer Lungenentzündung. Die minimal-invasive Hüftchirurgie ist handwerklich anspruchsvoll und wird deshalb nur von wenigen Zentren angeboten. Doch immerhin wird in Deutschland schon jeder zehnte Hüftgelenksersatz wegen Arthrose nach dieser Methode operiert. Voraussetzung dafür, dass alles glatt läuft, ist aber die altersgerechte Vorbereitung.
Geriatrisches Assessment hilft Risiken einer Operation einzuschätzen
Denn trotz der schonenden OP-Methode können Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zurückbleiben. Deshalb muss im Vorfeld klar sein, wie ein Patient mit möglichen Komplikationen zurechtkommt. „Geriatrisches Assessment“ heißt diese, speziell auf die Bedürfnisse des alten Menschen abgestimmte, Operationsvorbereitung. An einigen Kliniken gehört sie zum Standard.
Die geriatrische Begutachtung vor einer Operation, das geriatrische Assessment, umfasst nicht nur medizinische Aspekte. Wichtig sind auch die kognitiven Fähigkeiten, die Mobilität der Patienten, die Psyche, die Selbsthilfefähigkeit und auch die soziale Situation.
Planbare OPs sind sicherer als akute Not-Operationen
Dass Bettruhe im Krankenhaus für betagte und Hochbetagte gefährlich ist, legt auch eine Studie von Forschern der Uniklinik Aachen nahe. Professor Mark Coburn hat zwei typische Fälle gegenüber gestellt:
- Schenkelhalsbruch nach einem Sturz. Eine solche akute Operation führt in einem von zehn Fällen zum Tod. Eine gebrochene Hüfte lässt sich eben nicht minimal-invasiv operieren.
- Geplante Hüft-OP: Hier liegt das Sterberisiko bei 1:300. Das hängt auch damit zusammen, dass der Klinikaufenthalt meist kürzer ist.
Das eigentliche Problem für ältere und gebrechliche Patienten ist ein längerer Krankenhausaufenthalt, sagt Coburn. Die Patienten sterben selten während der Operation selbst oder der Narkose. Sondern erst danach durch Komplikationen wie zum Beispiel Lungenentzündung.
Ursache: Pflegemangel
Die Ursache dafür sieht der Aachener Anästhesist im Pflegemangel. Es gebe zu wenig Pflegepersonal, um sich ausreichend gerade um die ältesten Patienten zu kümmern. Dabei drohten weitere Komplikationen. Schon die ersten Anzeichen davon sollten erkannt werden. Dafür fehle dem Personal aber die Zeit.
Lässt eine Versorgung durch Altersmediziner nach der Operation die Sterberate sinken?
An rund 100 deutschen Kliniken läuft derzeit ein Versuch: Hier kümmern sich neben den "normalen" Stationsärzten und dem Pflegepersonal auch Altersmediziner um die Patienten. Der Stuttgarter Mediziner Prof. Clemens Becker hat für die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie untersucht, wie sich das auswirkt. Sein Team hat dazu Daten aus den Jahren 2014–2016 von rund 50.000 Patienten analysiert. Ungefähr die Hälfte wurde in konventioneller Behandlung betreut. Die andere Hälfte wurde in dieser neuen, interdisziplinären Kooperationsform betreut.
Ein Forschungsprojekt bestätigt: 20 Prozent der Todesfälle sind vermeidbar
Laut Altersmediziner Becker sind die Ergebnisse deutlich:
Durch diese integrierte, interdisziplinäre Versorgung waren über 20 Prozent der Todesfälle vermeidbar. Aus meiner Sicht ist das eine glasklare Botschaft: Diesen Weg müssen wir weiter gehen. So muss behandelt werden.
Mehr als 2000 Todesfälle in Deutschland ließen sich pro Jahr vermeiden, so Beckers Rechnung.
Die Studie hat einiges in Bewegung gesetzt. Mittlerweile arbeiten Gesundheitspolitiker an finanziellen Konzepten. Altersmediziner Clemens Becker ist überzeugt, dass sich die Versorgung alter und gebrechlicher Menschen in unseren Krankenhäusern demnächst grundlegend ändern wird:
In der operativen Medizin brauchen wir eine völlig andere Arbeitsorganisation. Wir brauchen ein interdisziplinäres Team. Genau wie wird das in der Geburtshilfe haben. Auf den Stationen brauchen wir eben Altersmediziner und Chirurgen, die diese ersten Tage, rund um die Operation steuern und entsprechend betreuen.
Patienten und Angehörige sollten besonders auf die postoperative Versorgungsqualität achten
Denn noch längst ist in unserem Gesundheitssystem nicht alles optimal auf die Bedürfnisse des alten Menschen abgestimmt. Da bleibt den Patienten und Angehörigen nur eins: Sich sehr genau auszusuchen, welcher Klinik man sich anvertraut. Gerade wenn mit einem längeren Klinikaufenthalt zu rechnen ist, sind kritische Fragen zur Versorgungsqualität auf der Station durchaus angebracht. Im Zweifel hilft auch ein Blick auf die Homepage der Klinik. Weist sie altersmedizinische Behandlung aus oder altersunfall-chirurgisches Zentrum ist schon viel gewonnen..