Die Situation
Es ist der 1. Juli 1930, kurz nach Mitternacht, in Trier. 12 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg endet die Besetzung des Rheinlandes. Das wurde ausgiebig gefeiert. Mehr als 30.000 Menschen kamen zu dieser „Befreiungsfeier“.
Es war auch rundfunkhistorisch ein besonderes Ereignis. Denn von der Feier gibt es einen dreiviertelstündigen Mitschnitt. Die Aufnahme gehört zu den ersten erhaltenen Außen-Live-Übertragungen der deutschen Rundfunkgeschichte.
Der historische Hintergrund
Der Friedensvertrag von Versailles und das Rheinlandabkommen von 1919 sahen vor, dass die Gebiete links des Rheins von 1920 bis 1935 von den Alliierten besetzt bleiben. Eine vorzeitige Räumung des Besatzungsgebietes wurde jedoch vorbehaltlich der Erfüllung der vertraglichen Pflichten durch das Deutsche Reich in Aussicht gestellt. Da das Deutsche Reich sich Ende 1922 mit Reparationsleistungen, etwa für Kohle und Stahl, in Verzug befand, war zwischenzeitlich auch das Ruhrgebiet besetzt.
Außenminister Gustav Stresemann erreichte in der Konferenz von Locarno im Oktober 1925 ein vorzeitiges Ende von Teilen der Besatzung. Im Gegenzug erkannte das Deutsche Reich im Vertrag von Locarno die Westgrenze – und damit auch den Verzicht auf Elsaß-Lothringen – an. Auch die Nutzung von Rundfunksendern war nun unter bestimmten Bedingungen gestattet.
So räumten die Alliierten am 1. Februar 1926 die erste Besatzungszone, was mit zahlreichen Befreiungsfeiern, unter anderem auf dem Vorplatz des Domes in Köln, gefeiert wurde.
Der Abzug der britischen Truppen aus der zweiten Besatzungszone begann am 14. September 1929, ab Oktober wurden auch die französischen Truppen aus Bad Ems, Idar, Oberstein und vom Brückenkopf Kehl abgezogen. Befreiungsfeierlichkeiten fanden in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 1929 statt, unter anderem in Koblenz.
Die Räumung auch der dritten Besatzungszone wurde möglich, nachdem Deutschland auch den Young-Plan anerkannte. Darin verpflichtete sich Deutschland zu Reparationszahlungen bis 1988.
Im Mai 1930 begannen die Franzosen mit der Räumung der Pfalz. In der Nacht auf den 1. Juli wurde schließlich mit Trier die letzte Garnison geräumt.
Nur das Saarland musste noch warten. Es stand unter Mandat des Völkerbunds und konnte erst 1935 über seine Zukunft entscheiden. Die Redner auf der Befreiungsfeier in Trier bringen ihre Solidarität mit den Saarländern immer wieder zum Ausdruck.
Die rundfunkgeschichtliche Bedeutung
Zur ausführlichen Originalaufnahme von 1930
Schon die erste Befreiungsfeier in Köln am 31. Januar / 1. Februar 1926 war eine Premiere. Der zuständige Rundfunkkommissar der Reichspost, Hans Bredow (1879 - 1959) gab kurz zuvor den Startschuss zum Experiment einer Live-Übertragung vom Kölner Domplatz gegeben. Die Übertragung erfolgte allerdings nicht reichsweit, und es existieren auch keine Aufnahmen davon. Lediglich eine Rede des Reichspräsidenten von Hindenburg vom 21. März 1926 anlässlich eines Empfangs der Stadt Köln ist erhalten geblieben.
Ab 1929 kamen dann auch Ü-Wagen zum Einsatz, so im Juli 1929 bei einer Reportage vom Nürburgring. Dafür wurde ein alter Bierwagen zum Übertragungswagen umgebaut. Die älteste erhaltene Reportage stammt vom Oktober 1929 – es ist die Reportage Alfred Brauns von der Beerdigung Gustav Stresemanns.
Die Übertragung der Befreiungsfeier in Trier gehört somit ebenfalls zu den ältesten erhaltenen Live-Übertragungen. Und sie ist mit fast 45 Minuten ungewöhnlich lang. Reporter Bernhard Ernst gehört wie Alfred Braun zu den bedeutendsten Reportern des frühen Rundfunks.
Der Reporter: Bernhard Ernst
„Bernhard Ernst war einer der profiliertesten Reporter der Weimarer Republik, neben Alfred Braun und Paul Laven. Er war ein Urgestein des Westdeutschen Rundfunks“, sagt die Historikerin und ehemalige WDR-Archiv-Redakteurin Birgit Bernard. „Er war Reporter im Zeitgeschehen, aber auch ein sehr beliebter Sportreporter, schon seit 1926.“
Ernst war auch in der NS-Zeit und bis 1958 im frühen bundesdeutschen Rundfunk aktiv. Birgit Bernard kennt viele seiner Berichte: „Bemerkenswert finde ich, dass Ernst schon sehr früh einen sehr sachlichen Reportagestil gepflegt hat. Das war nicht unbedingt üblich, wir haben im frühen Rundfunk ein hohes Maß an Pathos.
Es gibt eine Aufnahme mit Bernhard Ernst bei der Begrüßung des ersten NS-Intendanten durch Goebbels. Da ist seine Reportage so knochentrocken wie sie nur sein kann. Er zieht sich auf absolute Sachlichkeit zurück.“ Anders bei dieser Reportage von der „Befreiungsfeier“, die ihn hörbar auch selbst emotional bewegt.