Reichskanzler Gustav Bauer sieht keine Alternative, als den Vertrag von Versailles zu unterzeichnen. Er wollte noch erreichen, dass die Anerkennung der deutschen Kriegsschuld aus dem Dokument gestrichen wird - ohne Erfolg. Davon handelt Bauers Rede vor der Nationalversammlung am 23. Juni 1919. "Wir sind wehrlos. Wehrlos ist aber nicht ehrlos."
"Meine Damen und Herren, im Namen der Reichsregierung habe ich Ihnen folgende Mitteilung zu machen. Die Mehrheit der Nationalversammlung hat sich in der gestrigen Sitzung meiner Ausführungen gut geheißen, in denen die Stellung der Reichsregierung zum Friedensschluss dargelegt wurde. Entsprechend diesem Votum und der darin ausgedrückten Bevollmächtigung haben wir gestern Nachmittag in Versailles eine Note überreichen lassen, die diese unsere Stellung mit aller Verwahrung und allem Vorbehalt darstellt. Und unseren Willen zum Vertragsabschluss folgendermaßen formuliert:
Die Regierung der deutschen Republik ist bereit, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, ohne jedoch damit anzuerkennen, dass das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei. Und ohne eine Verpflichtung nach Artikel 227 des 230 des Friedensvertrages zu übernehmen.
Darauf ist dem Gesandten [...] am späten Abend eine ablehnende Antwort zugegangen. Die Alliierten lehnen jede Modifikation und jeden Vorbehalt ab und verlangen unveränderte Annahme des Friedensdiktats. Damit, meine Damen und Herren, ist die Lage in zwölfter Stunde von Grund aus verändert. Und damit stehen wir unrettbar vor der ungeheuren Frage: Ablehnen oder bedingungslos unterzeichnen? Die Reichsregierung hat ihnen gestern die bedingte Unterzeichnung vorgeschlagen und dafür die Zustimmung ihrer Mehrheit gefunden. Sie hat geglaubt, diesen letzten Versuch machen zu müssen, um etwas wenigstens von all den schönen Idealen zu retten, die unsere Gegner angeblich mit ihrem Kampf für die Menschheit erstreiten wollten.
Meine Damen und Herren, unsere Hoffnung, mit dem einzigen Vorbehalt einer Ehrenbewahrung bei unseren Gegnern durchzudringen, war nicht sehr groß. Aber wenn sie auch noch geringer gewesen wäre, der Versuch musste gemacht werden. Jetzt, wo er misslungen an dem sträflichen Übermut der [...] gescheitert ist, kann und muss die ganze Welt sehen: Hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt, wie kein Volk je zuvor.
Meine Damen und Herren, keinem Prozess [...] keinen Sturm der Empörung. Unterschreiben wir! - Das ist der Vorschlag den ich Ihnen im Namen des gesamten Kabinetts machen muss. Die Gründe, die uns zu diesem Vorschlag zwingen, sind dieselben wie gestern. Nur trennt uns jetzt eine Frist von knappen vier Stunden vor der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Einen neuen Krieg können wir nicht verantworten. Selbst wenn wir Waffen hätten, wir sind wehrlos. Wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, jene wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. Aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, dass es nicht unsere Ehre ist, die über dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist ein Glaube bis zum letzten Atemzug."
Deutsche Kriegsschuld soll aus dem Vertrag gestrichen werden
Bei den Friedensverhandlungen von Versailles bestanden die Alliierten auf eine bedingungslose Annahme des von Ihnen vor gelegten Vertragsentwurfs. Reichskanzler Philipp Scheidemann war strikt dagegen und trat daher am 20. Juni 1919 als Reichskanzler zurück. Sein Nachfolger wurde der Sozialdemokrat Gustav Bauer.
Er versucht noch zu erreichen, dass die Anerkennung der deutschen Kriegsschuld aus dem Dokument gestrichen wird – jedoch ohne Erfolg. Davon handelt Bauers Rede vor der Nationalversammlung am 23. Juni 1919. "Hier wird ein besiegtes Volk an Leib und Seele vergewaltigt", sagt Bauer – der aber doch keine Alternative sieht, als den Vertrag zu unterzeichnen. "Wir sind wehrlos", sagt er. "Wehrlos ist aber nicht ehrlos."
15.5.1917 Ausschnitt aus der Friedensrede von Philipp Scheidemann im Reichstag
15.5.1917 | Der SPD-Angeordnete Philipp Scheidemann (1865 – 1939) fordert im Berliner Reichstag die Kriegsparteien zum Friedensschluss auf. Er verurteilt die Hinhalte- und Durchhaltepolitik der Regierung und fordert, "auf das zu verzichten, was wir gar nicht besitzen". Die Rede wurde von Scheidemann 1920 nachträglich aufgenommen. | Erster Weltkrieg
9.11.1918 Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann
9.11.1918 | Der SPD-Politiker Philipp Scheidemann spricht vor Abgeordneten und Soldaten. Scheidemann war einer der Führer der Novemberrevolution, später erster Reichskanzler der Weimarer Republik. Die Rede hat er mehr als ein Jahr später im Januar 1920 aufgezeichnet. Das Foto wurde nachgestellt.
7.5.1919 Friedensverhandlungen von Versailles
7.5.1919 | Deutschland habe den Krieg verloren und schwere Verbrechen begangen, trage jedoch nicht die alleinige Schuld am Krieg. So argumentiert der Diplomat Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, der Deutschland bei den Friedensverhandlungen in Versailles vertritt. Allerdings kann er wenig erreichen. Der Vertrag stellt die alleinige Schuld Deutschlands fest und verpflichtet es zu Gebietsabtretungen und umfangreichen Reparationszahlungen. An jenem Tag weigert sich die deutsche Seite zu unterschreiben. Dies geschieht erst am 28. Juni, als die Siegermächte eine Militärinvasion androhen. Die Rede hat Brockdorff-Rantzau 1920 nachaufgenommen.