Die Entstehungsgeschichte der Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 ist voller Leidenschaft – passend zu ihrem Beinamen „Appassionata“, auch wenn der ihr erst im Nachhinein verliehen wurde. Eine Aufnahme dieses Werkes mit Pianistin Claire Huangci ist das SWR2 Musikstück der Woche, ein Mitschnitt von den Ettlinger Schlosskonzerten aus dem Jahr 2013.
„Beethoven gibt's nur einen“
1806 braucht Beethoven Ruhe. Er fährt zur Erholung nach Schlesien, doch der Aufenthalt bei seinem fürstlichen Gastgeber endet im Eklat. Überstürzt reist Beethoven ab und gerät in ein Unwetter: Der Regen durchnässt seine Notentasche und das Skript seiner neuesten Klaviersonate erhält einen gehörigen Wasserschaden. Doch der Reihe nach.
„Förderer meiner Kunst“
Karl Fürst Lichnowsky ist einer der wichtigsten Mäzene Beethovens in Wien. 1800 beginnt er, ihm jährlich 600 Gulden zu zahlen, eine feste finanzielle Stütze, damit der Komponist sich seiner Musik widmen kann. In seiner Residenz werden viele von Beethovens Frühwerken uraufgeführt, er lädt den Komponisten ein, als „Familienmitglied“ bei den Lichnowskys zu wohnen und er hilft dem jungen Mann aus Bonn, weitere Förderer in den Wiener Adelskreisen zu finden. Beethoven ist dankbar und widmet Lichnowsky mehrere Werke, unter anderem seine Sinfonie Nr. 2 D-Dur und die Sonate Nr. 8 „Pathétique“. In einem Brief nennt der Komponist den Fürsten „einen meiner treuesten Freunde und Förderer meiner Kunst.”
Begehrter Besucher
Das harmonische Verhältnis dauert an: Im Herbst 1806 lädt Fürst Lichnowsky den Komponisten sogar auf sein Schloss Grätz bei Troppau in Österreichisch-Schlesien ein. Beethoven will sich in den Kurstädten der Region erholen, doch es wird auch ein produktiver Aufenthalt. Er vollendet seine 4. Sinfonie in B-Dur ebenso wie seine Klaviersonate Nr. 23 f-Moll. Im Oktober erhält er eine weitere Einladung und besucht Reichsgraf Franz von Oppersdorf auf dessen Schloss Oberglogau.
Unliebsame Zuhörer
Während Beethovens Aufenthalt in Oberglogau wurden auf Schloss Grätz französische Offiziere einquartiert. Fürst Lichnowsky bittet Beethoven, vor den französischen Offizieren zu spielen. Beethoven ist erbost von der Idee, dass er mit seiner Kunst den Kriegsfeind unterhalten soll. Zwar verdankt er Lichnowsky viel, doch er schlägt ihm die Bitte aus und es kommt zum Streit. Beethoven packt rasch seine Noten ein und verlässt zu Fuß das Schloss. Voller Wut wirft er noch einige Zeilen an seinen fürstlichen Gastgeber aufs Papier:
Mehr zu Beethovens Klaviersonate f-Moll op. 57 „Appassionata“
Klangvoller Wasserschaden
In Wien angekommen trifft sich Beethoven mit seinen Freunden, dem Ehepaar Bigot: Marie ist Pianistin, Paul ist Bibliothekar beim Fürsten Rasumowsky. Er notiert seine Erinnerungen an die Ereignisse:
„Während seiner Reise wurde er [Beethoven] von einem Sturme und Platzregen überrascht, welcher durch die Reisetasche durchdrang, in der er die eben componirte Sonate in F moll trug. Nach seiner Ankunft in Wien besuchte er uns und zeigte lachend sein noch ganz nasses Werk meiner Frau, welche sich dasselbe näher betrachtete. Durch den überraschenden Anfang bewogen setzte sie sich ans Clavier und begann dasselbe zu spielen. Beethoven hatte das nicht erwartet und war überrascht zu sehen, wie Mad. Bigot keinen Moment sich durch die vielen Rasuren und Aenderungen, die er gemacht hatte, aufhalten ließ. Es war das Original, welches er im Begriffe war zu seinem Verleger zu bringen, um es stechen zu lassen. Als Mad. Bigot es gespielt hatte, und ihn bat, ihr damit ein Geschenk zu machen, gab er seine Zustimmung und brachte es ihr treulich zurück, nachdem es gestochen war.“
Wissenschaftlich belegt ist Paul Bigots Bericht nicht. Doch tatsächlich stammt Beethovens Handschrift der „Appassionata“, die sich heute in der Bibliothèque Nationale de France in Paris befindet, aus dem Besitz Marie Bigots. Außerdem sind auf dem Autograph zahlreiche Wasserflecke, die durch den Regenguss verursacht worden sein könnten.
Happy End
Ihren berühmten Beinamen „Appassionata“ erhält Beethovens Klaviersonate Nr. 23 f-Moll op. 57 übrigens vom Hamburger Verleger Cranz, der das Werk 1838 in einer Bearbeitung für vier Hände veröffentlicht. Der weiß nichts vom Streit zwischen Beethoven und Fürst Lichnowsky rund um die Entstehungszeit der Sonate.
Erfreulicherweise vertragen sich Komponist und Mäzen einige Zeit später auch wieder: Maria Christine Fürstin Lichnowsky vermittelt zwischen ihrem Mann und Beethoven. Und 1811 besucht der Komponist sogar wieder die fürstliche Familie auf Schloss Grätz - und diesmal wird es ein Besuch voller Harmonie.