Beim Spaziergang in Lichtental sei ihm morgens, als die Sonne aufging, sein Horntrio in den Sinn gekommen, erzählte Brahms.
Kein anderes seiner Werke ist so mit der Landschaft um Baden-Baden verwoben.
Sanfter, trauriger Klang
Als Johannes Brahms die Arbeit an seinem Horntrio in Baden-Badener Ortsteil Lichtental begann, waren nur wenige Wochen seit dem Tod seiner Mutter Christiane Brahms vergangen. Das Trio wird daher immer wieder als persönliches Requiem des trauernden Sohnes für seine im Februar 1865 verstorbene Mutter bezeichnet. So deutete das später zumindest sein guter Freund Max Kalbeck und schrieb es 1904 in seiner Biographie.
Noch heute dominiert diese ‚Lesart‘ zahlreiche Programmtexte und Werkinterpretationen und das, obwohl sie schon lange mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Um das Horntrio besser verstehen zu können, gibt uns die Musikwissenschaft mittlerweile längst weitere Interpretationsmöglichkeiten an die Hand.
Naturhorn statt modernes Ventilhorn
Ohne Zweifel: das Horntrio ist etwas Besonderes. Allein die außergewöhnliche Besetzung um ein Waldhorn verleiht ihm einen besonderen Stellenwert. Brahms' ausdrücklicher Wunsch war es, dieses Werk auf dem „alten“ Naturhorn und nicht dem modernen Ventilhorn zu spielen. Letzteres soll er dabei verächtlich als „Blechbratsche“ bezeichnet haben. Der dunkle Naturhornklang hingegen soll ihn an die wohl behütete Zeit in seinem Elternhaus erinnert haben, in welchem er das Hornspiel vom Vater erlernt hatte.
Dass er diese Klangästhetik des Naturhorns bevorzugte, entsprang jedoch nicht aus einem Moment des Erinnerns heraus, stellt kein intimes Privatsymbol und auch keinen Lösungsschlüssel für das Horntrio dar. Denn Zeit seines Lebens bestand Brahms auf der grundsätzlichen Verwendung des Naturhorns in seinen Orchesterwerken.
Poesie statt „rohem, abscheulichen“ Klang
Für sein Trio op. 40 ergibt das einen sinnlichen Duktus und Aufschluss darüber, wie Brahms selbst sein Werk hätte hören wollen: „Ist der Bläser nicht durch die gestopften Töne gezwungen, sanft zu blasen, so sind auch Klavier und Violine nicht nötig, sich nach ihm zu richten. Alle Poesie geht verloren und der Klang ist von Anfang an roh und abscheulich.“ Die ersten Takte der Hornstimme sollten „deutlich zeigen, wie das ganze Stück zu behandeln ist“, so Brahms.
Mehr zur Brahms' Horntrio Es-Dur op. 40
Melodien à la Volkslied
Im Hauptthema des langsamen Satzes Adagio mesto - zu Deutsch „traurig, betrübt, ernst“ – klingt irgendwo das Volkslied „Dort in den Weiden steht ein Haus“ durch, ein Lied, das Brahms von Kindesbeinen an gekannt haben soll. Die charakteristische Nähe zum Volkslied in Brahms' gesamtem Schaffen steht außer Frage, doch auch seine eigenen Melodien gleichen oft den vertraut anmutenden, eingängigen Volksweisen. In diesem volkstümlichen Idiom der Musik Brahms' liegt sicher auch der Schlüssel zum Verständnis des Horntrios. Denn nach seiner Inspirationsquelle befragt, antwortete Johannes Brahms, dass er sich beim „Komponieren stets Volkslieder vergegenwärtige, dann stellten sich ihm die Melodien wie von selber ein.“
Trotz aller inhaltlich-biographische Auslegung ist Brahms' Horntrio vor allem eines: absolute Musik. Musik um der Musik Willen. Ein Werk, das nachklingt, wegen seiner „Schönheit des Klangs [und] der Stimmung“, wie Florence May, die englische Pianistin und Schülerin von Brahms und Clara Schumann, in ihrer Brahms-Biographie 1911 schreibt: Musik, in der die „edle Einfachheit der Themen und der naturgemäße Charakter ihrer Entwicklung [...] selbst den unvertrauten Zuhörer“ zu fesseln vermag.
Sonnenaufgang in Lichtental
Wer übrigens selbst erfahren möchte, in welcher Situation dem Komponisten die Eingebung für das Hauptthema des ersten Satzes seines Horntrios kam, der sollte sich einmal auf einen Spaziergang rund um die Lichtentaler Marienkapelle begeben. Denn, wie auch viele andere musikalische Einfälle, hatte Brahms sich diese Melodie, wie er erzählte, „erwandert“:
„Eines Morgens ging ich spazieren und wie ich an diese Stelle kam, brach die Sonne hervor und sofort fiel mir das Thema ein.“