„O Täler weit, o Höhen, o schöner, grüner Wald“, schwärmte Eichendorff. Doch ist es im Wald wirklich immer so schön? Beim Hören von Jean Sibelius' sinfonischer Dichtung kann man anderer Meinung sein.
Die epische Sinfonische Dichtung für Orchester aus dem Jahr 1926 ist in der Einspielung des SWR Symphonieorchesters unter Leitung von Eivind Aadland unser Musikstück der Woche.
Ein neuer Gott
Der Schöpfer ist in diesem Stück nicht mehr der mythische Gott der alten Zeit. Es ist der Komponist, der zum neuen Erschaffer eines (nun musikalischen) Waldes wird. Auch er schafft, bestimmt über Anfang und Ende des Waldes, über sein Entstehen und Vergehen. Dieser neue Wald, der im Konzertsaal erklingt und im Inneren der Hörer*innen durch Fantasie entsteht, macht einen realen Wald scheinbar überflüssig.
In technischen Fragen macht „Tapiola“ vor allem zwei Dinge besonders: Das Werk basiert zum einen auf einer Art melodischen Keimzelle – wie ein Baumsamen, aus dem buchstäblich ein ganzer Wald entsteht. Diese Keimzelle ertönt bereits am Anfang des Stücks, zunächst auf markante einstimmige Weise, und verbreitet und variiert sich im Verlauf immer mehr.
Zum anderen erweist sich Sibelius als ein geschickter Dramaturg: Die immer wieder aufwallenden Steigerungen, vor allem ein mehr als 40 Takte andauerndes, aufsteigendes Crescendo der Streicher, sorgen fast zielstrebig für Gänsehaut. Am Ende des Werks findet sich ein bewegtes „Moto Perpetuo“, dass es durch seine rhythmische Kraft zu gewisser Berühmtheit unter Sibelius-Freund*innen gebracht hat.
Uraufführung in New York
Die Sinfonische Dichtung entstand im Auftrag von Walter Damrosch. Der Deutsche leitete in den 1920er-Jahren die New York Symphony Society. Im Big Apple war Sibelius' Opus 112 dann auch zum ersten Mal im Konzertsaal zu hören. „Tapiola“ war der letzte große Wurf, ehe sich Jean Sibelius ab 1926 jahrzehntelang als Komponist zurückzog.