Es dürften die fünf stressigsten Wochen seines Lebens gewesen sein. Aber sie waren gekrönt von einem Erfolg, der seinesgleichen sucht! George Gershwin hat seine berühmte Rhapsody in Blue unter enormem Zeitdruck geschrieben. Mit ihrer Uraufführung wurde er weltberühmt, und Amerika bekam seine erste „amerikanische Sinfonie“.
Keine Zeitungsente
George Gershwin schlägt im Januar 1924 die New York Tribune auf und reibt sich die Augen. Da steht, dass er gerade dabei sei, eine Jazzsinfonie zu schreiben, die in wenigen Wochen uraufgeführt würde.
Jahrestag der Uraufführung 100 Jahre „Rhapsody in Blue“: Wie Paul Whiteman Gershwin sein Meisterwerk entlockte
Am 12. Februar 1924 bringt George Gershwin seine „Rhapsody in Blue“ zur Uraufführung. Die Komposition hat ihm der „King of Jazz“ Paul Whiteman abgerungen.
Kein Wort davon ist wahr. Der Bandleader George Whiteman hat die Meldung lanciert. Er liegt dem 25-jährigen Gershwin schon geraume Zeit in den Ohren, er solle sein Talent nicht in Drei-Minuten-Songs vergeuden, sondern sich endlich mal an eine richtig große Musik wagen. Mit dieser Vorankündigung will er Gershwin Dampf machen!
Guter Jazz, aber schlechter Liszt
Die Uhr tickt. Gershwin schwitzt. Orchestermusik! Eine Sinfonie! Er, der Broadway-Liebling, hat doch keinerlei Erfahrung mit Orchester. „Ich hatte viele Wohnungen, aber zuhause war ich am Klavier“, war sein Credo bis dahin. So komponiert er auch zunächst für zwei Klaviere, bei der Orchestrierung unterstützt ihn Whitemans Arrangeur Ferde Grofé.
Musikalisch gelingt Gershwin in diesem „Klavierkonzert“ eine wunderbare Melange: Merkmale des Jazz, wie synkopierte Rhythmik und jazztypische Dissonanzen sind eingebettet in klassische Formen. Auch die Klangsprache der alten Welt findet man: Spätromantik und Impressionismus, was Kritiker damals zu dem Urteil veranlasste, die Rhapsody sei „guter Jazz, aber schlechter Liszt“.
Der Saal kocht
Das Publikum ist völlig anderer Meinung. Die Uraufführung der Rhapsody in Blue findet am 12. Februar 1924 in der Aeolian Concert Hall statt, dem zweiten Haus in New York nach der Carnegie Hall, und geht in die Musikgeschichte ein. Whiteman hat alles eingeladen, was Rang und Namen hat: Rachmaninow, Strawinsky, Heifetz, Kreisler.
Publikum und Spielern wird alles abverlangt: Vor Gershwins Rhapsody in Blue erklingen noch 26 andere Musikstücke, die Lüftungsanlage verabschiedet sich, die Musiker*innen bekommen ihre Einsätze (zum Proben hat die Zeit kaum gereicht) nach dem Motto „wait for nods“ – „warte, bis dir einer zunickt“. Aber das Publikum tobt.
Amerika klingt blau
George Gershwin war kein Synästhetiker, der an Farben dachte, wenn er Musik hörte oder komponierte. Der Name „Rhapsody in blue“ spielt eher auf die Blue Notes im Jazz an, also bestimmte Intervalle, die den Bluescharakter von Melodien charakterisieren.
Vor allem aber ist der Titel inspiriert von einer Ausstellung, die Gershwins Bruder Ira kurz vor der Uraufführung besucht hatte. In dieser waren Bilder des Impressionisten James McNeill Whistler zu sehen, der seinen fast monochromen Gemälden Titel wie „Nocturne in Blue and Gold“ gab. Der Name für eines der berühmtesten amerikanischen Musikstücke war geboren!
Kirill Gerstein
Der russische Pianist Kirill Gerstein war von Kindheit an ein musikalischer Wandler zwischen den Welten der Klassik und des Jazz. Er hat zahlreiche Preise gewonnen, u.a. 2015 den ECHO Klassik in der Kategorie Konzerteinspielung des Jahres. Seit 2003 besitzt Gerstein neben der russischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 2007 übernahm er eine Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart.
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg wurde 1946 gegründet. Ursprünglich war es ein Klangkörper des SWF, ab 1998 des SWR und wurde zur Spielzeit 2016/17 mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zum SWR Symphonieorchester zusammengelegt. Seit 1996 hatte das Orchester seinen Sitz im Konzerthaus in Freiburg. Ein Schwerpunkt des Orchesters war die Neue Musik. Es hat über 400 Werke uraufgeführt, darunter Musik von Hans Werner Henze, Karlheinz Stockhausen, Olivier Messiaen und Wolfgang Rihm.
Musikstück der Woche Frank Dupree spielt George Gershwin: An American in Paris, bearbeitet für Klavier
Mit George Gershwins Orchesterstück „An American in Paris“ lässt sich wunderbar durch die turbulente französische Großstadt flanieren, auch wenn man meilenweit entfernt ist. Der Pianist Frank Dupree war von dieser Musik so begeistert, dass er mit 17 Jahren eine Fassung für sein Instrument geschrieben hat. Bis heute ist er der Einzige, der unser SWR2-Musikstück der Woche bühnenreif spielen kann.