Mahlers fünfte Sinfonie hören ist wie einen guten Roman lesen. Man taucht tief ein in die Klangwelt und erlebt das musikalische Geschehen mit den Ohren des „lyrischen Ichs“.
Die echte Welt verblasst im symphonischen „stream of conciousness“. Nur hie und da hört man ein Stück Musik aufblitzen, das einen irgendwie an Altbekanntes erinnert… oder doch nicht?
Trompete bläst zum Trauermarsch
Es beginnt mit einer einzigen Trompete. Da sitzt ein vollbesetztes Orchester auf der Bühne, mit mächtig Blech und Schlagwerk, und dann lässt Mahler seine 5. Sinfonie von einer einsamen Trompetenfanfare eröffnen.
Sie führt einen Trauerzug an. Vielfach erklingt die Trompete in diesem ersten Satz. Immer wieder erinnert sie das Orchester, das sich mal dahinschleppt, mal leidenschaftlich ausbricht, daran, was sich für einen Trauermarsch gehört: gemessener Schritt und Strenge.
Am Ende ist der Trauerzug trotz aller Ausbrüche vorbeigezogen. Und die Fanfare verhallt in der Ferne.
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Eine Welt in fünf Sätzen
„Aber Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen." Das gelingt Mahler auch in der Fünften. Die fünf Sätze sind großes Kino. Von tiefer Trauer, Tod und schwermütiger Klage über leidenschaftliche Passagen und Heiterkeiten bis hin zu Momenten seliger Entrückung halten sie das ganze Spektrum menschlicher Empfindung bereit. Musikalisch sind die Sätze bis in die Tiefen der Details miteinander verwoben. Die ersten und die letzten beiden ordnet Mahler jeweils zusammen zu einer Abteilung. So tauchen Motive aus dem ersten Satz im zweiten in variierter Gestalt wieder auf und sorgen für musikalische Déjà-vu-Momente. Im dritten Mittelsatz wird hörbar, dass sich Mahler zur Entstehungszeit der Fünften mit Bachscher Polyphonie beschäftigte. In mehreren Klangschichten ertönen gleichzeitig Ländler, Walzer und liedhafte Passagen, nur um von schnellen scharfen Fugato-Passagen durchbrochen werden. Im Ganzen entsteht aus den Überlagerungen und schnellen Wechseln der Eindruck einer großen Klangcollage.
Die eigene Geschichte des Adagietto
Ewiger Frieden, unwirkliche Zartheit, musikalische Entrückung - selbst mit großen Worten fällt es schwer, den Ausdruck des Adagietto zu beschreiben. Der filigrane Klang von Streichern und Harfe bildet einen starken Kontrast zum blechgetränkten Orchestersound in den ersten drei Sätzen.
Unabhängig vom Rest der Symphonie hat dieser 4. Satz der Fünften seine eigene Geschichte geschrieben. Das persönlichste Kapitel darin wurde von Willem Mengelberg, Dirigent und Freund der Mahlers notiert. Demnach ist das Adagietto Gustavs klingende Liebeserklärung an seine junge Frau Alma: "Statt eines Briefes sandte er ihr dieses im Manuscript, weiter kein Wort dazu. Sie hat es verstanden und schrieb ihm: Er solle kommen!!!"
„Verfluchtes Werk“
Die 5. Sinfonie ließ Gustav Mahler das ein oder andere graue Haar wachsen. Uraufgeführt wurde sie unter seiner Leitung 1904 in Köln. Damit war die Arbeit aber noch lange nicht beendet. Noch 1911, im Jahr seines Todes, grübelte Mahler über der Partitur und berichtete schließlich seinem Kollegen Georg Göhler: "Die 5. habe ich fertig – sie mußte faktisch völlig uminstrumentiert werden.“
Auch die ersten Reaktionen des Publikums waren wohl durchwachsen. "Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie!" schrieb Mahler nach einer Aufführung 1905. Ob wir Hörerinnen und Hörer von heute die 5. Sinfonie in ihrer Vielschichtigkeit kapieren, können wir nicht wissen. Vielleicht müssen wir das aber auch gar nicht, sondern dürfen – wie bei einem guten Roman – mit jeder Zeile, mit jedem Hören neue Details entdecken.
Autorin: Julia Schwarz