Erste Orchesterstücke bei den Donaueschinger Musiktagen befremden
Vielleicht war es zu viel Energie, zu viel Sinnlichkeit, die da mit einem Mal über die damals eher rational durchdrungene Neue-Musik-Szene hereinbrach. Als Wolfgang Rihm Mitte der siebziger Jahre mit seinen ersten Orchesterstücken bei den Donaueschinger Musiktagen seinen Einstand gab, sorgte er bei Publikum und Kritik für Aufsehen und Befremden.
Nachruf Zum Tod von Wolfgang Rihm: Tonkünstler und Ermutiger zum Eigensinn
Wolfgang Rihm war einer der bedeutendsten Komponisten seiner Generation. Nun ist er in der Nacht zum 27. Juli im Alter von 72 Jahren gestorben, wie seine Familie bestätigt.
Nach dieser Musik helfe „nur noch ein Schnaps“, mokierte sich etwa der Kritiker Heinz-Josef Herbort. Rihm, gerade einmal Anfang 20, war noch unbekannt: ein junger Mann aus Karlsruhe, der dort bei Eugen Werner Velte studierte und sich in Köln bei Karlheinz Stockhausen weitergebildet hatte. Seine Musik wurde als ein Aufbegehren gegen die Vätergeneration verstanden, als provokativer Gegenentwurf zur Nachkriegsavantgarde.
Zugleich Erbe und Gegenentwurf der Nachkriegsavantgarde
Rihm selbst verstand sich jedoch nicht als Revolutionär, sondern als Lernender, der vor dem Hintergrund der reichen Musiktradition seine eignen Stimme suchte. Er besuchte die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt und die Donaueschinger Musiktage, um zu lernen, neue Eindrücke zu sammeln und Erfahrungen zu machen. Das habe ihn jedoch in keiner Weise entmutigt, sondern immer nur bestätigt, der zu werden, der er sei, so Rihm.
Stets betonte er, dass es ihm nicht um „Nachplappern des Vorgefundenen“ gehe, sondern darum, „zu sich selbst zu kommen“. „Rihm schockiert sein Publikum nicht durch Traditionszertrümmerung“, schrieb 2015 denn auch die Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er dehne die „Grenzen lieber kunstvoll aus, anstatt sie zu durchbrechen“.
Beharrlichkeit jenseits von Strömungen, Schulen oder Moden
Wolfgang Rihm lief nie Strömungen, Schulen oder Moden hinterher. Er ging seinen Weg – und diese Beharrlichkeit hatte Erfolg. Längst ist er einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart, bereits mit Anfang dreißig erhielt er eine Kompositionsprofessur in Karlsruhe.
Komponieren als unerschöpflicher Prozess des Fortschreibens
Ein „Routinier“ ist er dennoch nicht geworden. Im Gegenteil: Jedes neue Werk, sagt Rihm, sei „eine Antwort auf das Vorausgegangene“ und werfe wiederum Fragen auf, die er im nächsten Stück zu beantworten suche. Das stete Hinterfragen seiner Arbeit ist demnach ein wesentlicher Teil seines Selbstverständnisses als Komponist.
Der Dirigent Christoph Eschenbach hat sehr viele Kompositionen von Wolfgang Rihm aufgeführt, schon seit den achtziger Jahren arbeiten beide zusammen. Über die Arbeitsweise von Rihm sagt Eschenbach: „Wolfgang Rihm ist sich von Anfang an treu geblieben als Komponist und deshalb von Anfang an ein Meister im Variieren seines Stils. Er ist sich treu geblieben, in dem er sich in jedem Stück neu erfindet.“
Komponieren ist für Rihm ein ständig sich fortschreibender Prozess. Seine Musik entsteht aus einem unerschöpflichen Vorrat an Ideen, die sich überlagern, einander durchdringen und ergänzen – scheinbar ohne Begrenzung.
Wichtige Lektion von Karlheinz Stockhausen
Eine seiner wichtigsten Lektionen habe er von seinem Lehrer Karlheinz Stockhausen gelernt, meint Wolfgang Rihm. Dieser hätte oft gesagt, dass es keinen Sinn mache, mit „einer Sache kurz bekannt zu werden.“
Man müsse „jahrzehntelang in aller Breite anwesend sein, mit aller schöpferischen Vielfalt“ — so habe es Stockhausen formuliert. „Das habe ich sehr ernst genommen. Ich habe es auch als Ermutigung meines Wesens empfunden und habe gespürt: 'Du kannst so sein'“, sagt Wolfgang Rihm.
„Schreibmusiker und Musikschreiber“
Rihm beeindruckt nicht nur mit der Fülle, Vielfalt und Qualität seiner kompositorischen Arbeiten, sondern auch mit der eloquenter Art und Weise, in der er seine Gedanken in Vorträgen, Reden und Briefen zum Ausdruck bringt.
Er ist Autor zahlreicher Bücher und Schriften, Gesprächspartner in Radiosendungen und Interviewbänden. Als er 2014 den Robert-Schumann-Preis für Dichtung und Musik erhielt, würdigte ihn die Jury als „Schreibmusiker und Musikschreiber“.
Portrait Wolfgang Rihm
filmisches Porträt von Studentinnen des Karlsruher Master-Studiengangs „Musikjournalismus für Rundfunk und Multimedia“ (2012):
Aktualisierte und erweiterte Fassung des Artikels "Wolfgang Rihm - heimatverbundener Kosmopolit" von Michael Rebhahn (2015)