Donaueschinger Musiktage 2010 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2010: "Let me sing into your ear"

Stand
Autor/in
Marco Stroppa
Übersetzung
Birgit Gotzes (aus dem Französischen)

Wie alle Konzerte, die ich bis heute geschrieben habe, ist "Let me sing into your ear" eine Erkundung in den Dimensionen des Bühnenraums und der "polyphonischen Formen". Das Bassetthorn ist so hinter dem Orchester platziert, dass es für den Blick weit entfernt ist. An dem Platz, den normalerweise der Solist einnimmt, wird es durch ein "akustisches Hologramm" vertreten, das aus fünf Lautsprechern besteht. Auch wenn das heute technisch noch nicht perfekt zu realisieren ist, soll dieses "Hologramm" die Abstrahlungseigenarten des Instrumentes in den Raum als ein dreidimensionales Klangbild darstellen.

Verschiedene Konstellationen zwischen dem Instrumentalisten und seinem "Hologramm" werden ausgelotet und zeigen in der Benutzung des Raums eine große Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten.

In "Marmoreo" zum Beispiel stellen sich orchestrale "Marmor"-Blöcke gegen eine Musik für das Bassetthorn, das versucht, sie zu zerschlagen, um aus ihnen zu fliehen, während in "Pulviscolante" eine Klangwelt jenseits der Schwelle des Hörbaren zum Vorschein kommt, als ob Staubkörner mit Hilfe eines akustischen Mikroskops betrachtet würden.

Unter "polyphonischen Formen" verstehe ich eine Konzeption von Form, die unsere "kognitiven Fähigkeiten" betrifft. Diese werden von mir seit etwa zehn Jahren erforscht: Ich schreibe kompositorisches Material eines besonderen Typs, verschiedene Vorstellungen oder Bilder können im Kopf des Zuhörers gleichzeitig auftauchen und die Rekonstruktion von einzigartigen persönlichen, nur kurz existierenden Formen erlauben.

Wie bei allen meinen Konzerten ist der Zusammenhang mit einem Gedicht von William Butler Yeats niemals illustrativ, strukturell oder figurativ gemeint, es handelt sich vielmehr um ein komplexes Zusammenspiel von Spiegelungen und innerlichen Nachklängen; es würde zu weit führen, das an diesem Ort im Detail zu erklären.

Ich danke Armin Köhler sehr, der dieses ungewöhnliche Projekt seit meinem ersten Vorschlag unterstützt und sich für es eingesetzt hat. Das Werk ist Michele Marelli gewidmet, denn dank seiner technischen Brillanz und seines Talents habe ich die klanglichen Schönheiten und die Ausdruckskraft des Bassetthorns entdeckt.

Stand
Autor/in
Marco Stroppa
Übersetzung
Birgit Gotzes (aus dem Französischen)