Josef Anton Riedl hat seine Lautgedichte stets aus Fremdquellen gewonnen, so z. B. aus Georg Büchners Lustspiel Leonce und Lena, aus Samuel Becketts Theaterstück Spiel, aus einer Rundfunkzeitschrift oder aus Eigennamen wie Carlfriedrich Claus oder Bernd Scheffer. Diese Lautgedichte wurden ihrerseits wieder zu Materialquellen für andere Lautgedichte und Zyklen von Lautgedichten, die Riedl auch zu multimedialen Performances und Environments aus vokalen, instrumentalen und elektronischen Klängen und Geräuschen erweiterte. Dem Prinzip der Neukonstellation von Lautgedichten aus bereits verarbeiteten Fremdquellen und ihrem multimedialen Arrangement ist er in Schweigewatte mit Anspielung – eine Lautkomposition für drei Sprecher, einen Schlagzeuger und Zuspielung – treu geblieben. Erstmals im Bereich seiner akustischen Lautgedichte jenseits der Theatermusik werden in diesem Stück aber nicht nur Quelle und phonetisches Destillat gemeinsam zu hören sein, sondern ein Teil der "Quelltexte" wird von ihrer Autorin im Verbund mit den beiden an der Aufführung beteiligten Sprechern und dem Schlagzeuger live auch noch selbst gelesen.
Das phonetische Material der live gesprochenen und der zugespielten Passagen in Schweigewatte mit Anspielung wurde aus einem identischen Zyklus bislang unveröffentlichter Collagen von Herta Müller gewonnen. Josef Anton Riedl und Michael Lentz haben diese Collagen bereits in der Lautkomposition größer minus größer verarbeitet, die 2013/14 von der Abteilung Hörspiel und Medienkunst des Bayerischen Rundfunks produziert und 2014 von B2 gesendet wurde (Regie: Michael Lentz, Josef Anton Riedl; Sprecher: Michael Hirsch, Michael Lentz; Realisation: Michael Lentz). Die Zuspielung in Schweigewatte mit Anspielung besteht aus Ausschnitten aus größer minus größer. Wie diese Lautkomposition basiert auch Schweigewatte mit Anspielung auf dem Prinzip Collage in methodischer Analogie zu Herta Müllers optosemantischen Collagegedichten: Diesen wurden erneut Laute, Wörter und Sätze entnommen, die phonetisch und rhythmisch sequenziert zu neuen Konstellationen gruppiert und mit ihrerseits collagierten Sequenzen aus Riedls Schlagzeugstück Anspielung sowie mit den erwähnten, neu kombinierten Ausschnitten aus größer minus größer in Beziehung gesetzt werden. Die Sprecher Michael Hirsch und Michael Lentz haben live auf die Zuspielungen und das Schlagzeug zu reagieren und mit ihnen zu interagieren; sie artikulieren von diesen autonome Lautsequenzen und umrahmen von Herta Müller live gelesene Collagegedichte, aus denen sie stets ihr Lautmaterial gewinnen. Herta Müller liest ihre Gedichte solo, simultan mit den beiden Sprechern und/oder dem von Stefan Blum gespielten Schlagzeug, das auch solistisch agiert. Schweigewatte mit Anspielung ist eine passagenweise wuchtige, dann wieder melancholische Klang- und Geräuscherzählung, die Herta Müllers Collagen eine stringente Lesart jenseits einsinniger Interpretation und Illustration geben.
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- Josef Anton Riedl, Schweigewatte mit Anspielung. Eine Lautkomposition für drei Sprecher, einen Schlagzeuger und Zuspielung
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