Der direkt unter der Hofbibliothek liegende Gewölbekeller besteht aus vier, etwa gleich großen Räumen, die zugleich voneinander getrennt, als auch miteinander verbunden sind. Genutzt werden sie heute als Lagerräume einer Bierbrauerei; während des zweiten Weltkrieges fungierten sie auch als Schutzbunker. Betritt man diesen von der Welt oben getrennten Ort, der nur mit künstlichem Licht beleuchtet wird, gewinnt man den Eindruck, sich im Inneren von etwas – vielleicht im Inneren eines Körpers – zu befinden.
Meine Absicht ist es, das Gedächtnis eines Raumes als Ausgangspunkt zu benutzen. Touch me – don't touch me ist eine Installation, die sich auf verschiedene Gefühle und Zustände bezieht, die zwischen Angst und Aggression, zwischen Schlaf, Traum und dem Aufwachen, bzw. dem Bewußtsein und dem Un-Bewußtsein einer kindlichen und erwachsenen Perspektive liegen. Wie schon in meinen anderen Arbeiten geht es auch hier darum, einen geschlossenen Kreislauf zu bauen, schon bestehende Situationen miteinzubeziehen und so zu verändern, daß sie das Thema fokussieren.
In den beiden mit einem Durchgang verbundenen Räumen auf der rechten Seite sind Ansammlungen von scheinbar ungeordnet aufgetürmten, stehenden und liegenden Bierfässern in einer bestimmten Gruppierung verteilt. Es entstehen vier Gruppen und jeder wird ein Lautsprecher zugeteilt, der zwischen und in den Fässern unsichtbar installiert ist. Ein weiterer Lautsprecher befindet sich hinter einem Stützpfeiler im ersten Raum. Eine Videosequenz, die im zweiten Raum an die Wand projiziert wird – teilweise verdeckt von einem zweiten Pfeiler – zeigt einen älteren Mann, der in Gebärden und Mimik abwechselnd aggressive, beschwichtigende bis sich schützende Gesten zeigt. Er betreibt eine Art traumatisches Schattenboxen, das den Charakter eines Um-sich-schlagens hat, während einer geträumten, lebendigen Erinnerung. Diese Erinnerung bezieht sich auf eine gewaltvolle Erfahrung, wie z. B. auf eine Zeit, in der ein Kind den Krieg erlebte und in der es – noch zu jung, um zu begreifen, was geschieht – gezwungen war, zu reagieren. Die Gesten heben gerade diesen Moment, der zwischen dem Erahnen und dem Verstehen liegt, hervor.
Aus den fünf Lautsprechern an den verschiedenen Positionen der beiden Räume ist die Stimme eines etwa zehnjährigen Jungen zu hören, der – dem Bildschirm des Videos entsprechend – Sätze oder Satzfragmente in englischer Sprache wiederholt (hit me – touch me – go away – don't touch me – hold me). Sie werden von einem Jungen aus Island gesprochen. Sein Akzent und seine gleichförmige Sprechweise abstrahieren und brechen die Dramatik der Bedeutung der Worte.
Die räumliche Klangsituation der Position der verschiedenen Lautsprecher assoziiert ein kindliches Versteckspiel. Die teilweise auch absurde Gestik des Mannes und die Worte des Jungen sind in ihrer Bedeutung oft gegenläufig, treffen sich wieder und gehen auseinander. Der Mann wird von Dieter Kortals, einem Schauspieler an einem Berliner Kindertheater, dargestellt. In den beiden Räumen auf der linken Seite weicht das spielerische Element einer scheinbaren Ordnung. Im dritten Raum steht ein akkurat aufgestellter Stapel aus Bierfässern, in denen ein Lautsprecher installiert ist, aus dem von Pausen getrennt, das Geräusch eines auf den Boden fallenden Fasses kommt. Während die Räume der rechten Seite durch die Videoprojektion und einfallendes Licht von außen nur schwach beleuchtet sind, sind die beiden anderen Räume gut ausgeleuchtet. Der dritte Raum zeigt einen Moment des Aufwachens. Im vierten Raum sind die ("betäubenden") Fässer schließlich verschwunden. Er ist leer bis auf ein großes Objekt aus Rollen von Schafwoll-Industrievlies, das ein Schlaflager assoziiert. Aus einem in seine Falten geschobenen Druckkammerlautsprecher ist- entfernt und verfremdet – die Stimme eines Mannes zu hören, der Sätze und Satzfragmente aus der Literatur zitierte, die die Begriffe Schlaf und Traum thematisieren und erwähnen. Diese Zitate sind Auszüge von Büchern und Schriften, die sich in der Hofbibliothek über dem Gewölbekeller befinden. Hauptsächlich sind es Fragmente aus den Briefen von Joseph Viktor Scheffel, der 1857-59 diese Bibliothek betreute. (J.V.Scheffel: zwischen Pflicht und Neigung – Briefe ins Elternhaus – Hrsg. von Dr. W. Zeutner, Karlsruhe 1946).
- Festivaljahrgänge
- Donaueschinger Musiktage 1998
- Themen in diesem Beitrag
- Claudia Brieske, Touch me don't touch me, Raumklanginstallation
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