Donaueschinger Musiktage 2011 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2011: "LIQUID SOULS"

Stand
Autor/in
Franziska Baumann
Claudia Brieske

Stimmklang- und Bildraum Fischhaus

Zwei Sängerinnen und zwei Sänger schauen auf einer fensterähnlichen Lucke
„Liquid Souls“ – Performance von Claudia Brieske und Franziska Baumann am Fischhaus im Schlosspark Donaueschingen.

Inspiriert vom Thema Wasser, seiner symbolischen und politischen Bedeutung, seiner Dynamik und Wandelbarkeit als auch seiner Extreme, entwerfen die beiden Künstlerinnen rauminstallative Stimminszenierungen und an den Klang getaktete Bildkompositionen. Dem Fischhaus im F.F. Schlosspark als inszenierte(r) Ort/Quelle entspringen an den Bildraum gekoppelte Stimmszenen. Als "dramatische Momente aus der Box" bilden sie zusammen mit Bildräumen, Klangkomposition und Außenwandskulptur einen scheinbar autarken Organismus, der zwischen Bühnenform und skulpturaler Charakteristik oszilliert.

Das Fischhaus als organischer RaumkörperRaumsituation

Der Pavillon mit seinem quadratischen Grundriss und seiner Anmutung eines klassizistischen Miniaturtempels steht eigentümlich isoliert wie eine "Box" im Park. Seine Funktion als ehemaliges Fischbecken für die fürstliche Tafel spiegelt sich auf den ersten Blick nicht in seiner Architektur. Die ungewöhnliche Beziehung zwischen Funktion und Form sowie auch die Lage des Pavillons direkt am Wasser bilden den Ausgangspunkt, das Gebäude zu einem organischen Raumkörper zu formen.
Eine große Wand, die die Bogentür an der hinteren Front von außen verdeckt, lehnt sich an das Gebäude. Sie hat nicht nur die Funktion von Abdeckung und Verdeckung, sondern ist ein eigenständiges plastisches Element, das sich mit der Architektur verbindet. Durch das Verbergen wird die Charakteristik des Ortes noch betont. In der Wand ist eine Öffnung eingelassen, die mit einem trichterförmigen Körper den Außenraum mit dem Innenraum verbindet. Er dient sowohl als Aktionsraum für die Sänger und Sängerinnen als auch als Projektionsfläche für computergesteuerte Bewegtbilder. Das Verschließen des Raumes wird somit zu einer erneuten Öffnung. Bilder, Stimmen und Klänge dringen von Innen nach Außen und umgekehrt. Videosequenzen, die als getaktete Projektionen an den Stimm- und Klangraum gekoppelt sind, werden – virtuellen Wasseradern gleich – den Raum wie einen Organismus durchströmen: im Innenraum, im Außenraum und von Innen nach Außen, miteinander, gegenläufig, sich drehend, sich biegend, abrutschend..., aber auch einem Ein- und Ausatmen ähnlich.

Oper aus der BoxInszenierte Stimmkörper zwischen Drama und minimalistischem Stimmkollektiv

Riesige weiße Bühnenwand mit Fenster am Donaueschinger Fischerhaus, aus dem vier Leute rauskucken
Liquid Souls“ – Performance von Claudia Brieske und Franziska Baumann am Fischhaus im Schlosspark Donaueschingen.

Der Begriff "Raumoper" assoziiert eine konzentrierte Einheit von Skulptur, Video, Audio-, und Stimmperformance und fokussiert das Anliegen von Baumann und Brieske, das Fischhaus in eine organische, lebendige Stimm-Raumarchitektur zu transformieren. Der spezielle Umgang mit dem Ort gehört zum Kern der künstlerischen Arbeit. Der Raum wird nicht nur als Bühne "aus der Box" bespielt, sondern die Sänger und Sängerinnen werden zeitweise selbst Teil der musikalischen und skulpturalen Architektur. Sie agieren sowohl im Innenraum als auch (vorwiegend) im Außenraum. Drahtlose Mikrofone, die über eine Audiomatrix auf verschiedene Lautsprecherpositionen geführt werden, ermöglichen es, den Innen- und Außenraum audio-plastisch zu gestalten. Akustisch verstärkte Stimmen fließen aus dem Raum, werden zurückgezogen, erzeugen Gesangsströme oder steigern sich zu dramatischen "Kippmomenten". Diese akustischen Zustandsänderungen "drehen" den Raumkörper in der Wahrnehmung des Publikums um und wenden ihn von Innen nach Außen.

Die Materialdisposition der Komponistin ist ein Repertoire an Stimmmodulen zum Thema Wasser. In der gemeinsamen Arbeit mit den SängerInnen wurden vokale und gestische Möglichkeiten ausgelotet. Aus dem scheinbar zufälligen Laut und aus der Sprache heraus werden Grenzen des Materials gesucht: extreme Höhe, tiefes Knarren, dramatische Lautstärke, Grenze der Hörbarkeit, chaotisches Stimmengewirr, verständliche Textfragmente, Kehlkopftremoli, Falsettwirkungen, konsonantisches Rauschen, mikrotonale Gesänge, Reibegeräusche und Multiphonics. Resultat ist eine klanglich und zeitlich in einem Raster determinierte Vokal- und Bewegungsdramaturgie. Innen- und Außenraum werden kontinuierlich in verschiedene Richtungen durchquert und räumliche Distanzen ausgelotet, wobei Nähe und Distanz zu Parametern der Kommunikation mit dem Publikum werden.

Raumklanginstallation

Eine Klangkomposition der Komponistin Franziska Baumann ergänzt die Live-Stimmen und verortet sie "audioplastisch" in der Anlage. Vitale Klangmaskierungen, in denen auch die Sänger und Sängerinnen erscheinen, durchfluten das Fischhaus als imaginäre Klangkörper. Wasserklänge aus dem alltäglichen Umfeld und Stimmmaterialien "füttern" die Komposition. Die Klangbearbeitungen repräsentieren die Idee einer fiktiven Räumlichkeit, die als Re-Imagination den Ort neu erlebbar machen.

Ziel ist es, den Pavillon in ein "utopisches Inszenierungsmodell" zu verwandeln, das mit seinem Innenraum, den Außenflächen sowie seiner Umgebung den Sängern und Sängerinnen als Aktionsraum dient, sei es in der Live-Präsenz, akustisch-imaginär in der Audioinstallation oder skulptural im Video.

Stand
Autor/in
Franziska Baumann
Claudia Brieske