Donaueschinger Musiktage 2000 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2000: "Vertont"

Stand
Autor/in
Renate Hoffleit

Leben ist Laut

oder

Das Rumpeln der Elefantenkuh wird nicht "VERTONT"

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass Fledermäuse im Flug Ultraschallaute aussenden und diese wie ein Echolot dazu benutzen, in der Dunkelheit schnell fliegende Beutetiere zu jagen und an Hindernissen vorbeizunavigieren. Manche Insekten können jedoch durch Aussenden nahezu gleicher Ultraschallwellen das Echolot der Fledermäuse stören. – Aggressiv gestimmte Ratten stoßen Hochfrequenzpfeiftöne aus, neugeborene Mäuse stimulieren durch Ultraschallaute Leckverhalten und Saugstellung bei ihrer Mäusemutter und Hamsterweibchen locken mit Ultraschallrufen Partner herbei.

Menschen können Ultra- und Infraschallaute mit deren Frequenzen jenseits des Hörbereichs von ca. 16 bis 18.000 Hz bekannterweise nicht hören, bedienen sich aber entsprechender technischer Geräte zu deren Identifikation.
Auf diese Weise entdeckten gegen Ende des 20. Jahrhunderts Elefantenforscher, dass im alltäglichen Leben der Elefantenherden – welche nur aus Elefantenkühen und Kälbern bestehen – Kommunikation durch Infraschallaute stattfindet. Ein Konzert der besonderen Art gibt z.B. die nur alle vier bis fünf Jahre paarungsbereite Elefantenkuh: Sie singt dann im Infraschallbereich. Dabei wiederholt sie stets aufs Neue gedehnte Rumpellaute. Die extrem langen Wellen dieser niedrigfrequenten Töne können von Artgenossen in einem Umkreis von mehr als vier Kilometern wahrgenommen werden, und in kurzer Zeit findet sich eine Zuhörerschar paarungswilliger Elefantenbullen ein. – Auch Unwetter, Erd- beben, Vulkane, Meereswellen produzieren Laute im Infraschallbereich. Bergketten erzeugen offenbar ganz spezifische Infraschallsignale, und es wird vermutet, dass Zugvögel diese als Orientierungshilfen bei ihren Überlandflügen nützen.

Dem Singen der Buckelwale – nur die männlichen Wale singen und dies manchmal bis zu 20 Stunden ohne Unterbrechung -, dem Brummen der Schellfische und Klicken der Delfine können Menschen ebenso nur mit Hilfe der Technik zuhören. Das menschliche Gehör ist auf die Schallgeschwindigkeit der Luft, 332 Meter pro Sekunde, eingestellt, während die Schallgeschwindigkeit des Meerwassers 1485 Meter pro Sekunde beträgt.
Vögel wie z.B. die Sittiche bestimmen Laute, die in weniger als ein bis zwei Millisekunden nacheinander ankommen, Menschen jedoch können Laute, die schneller als fünf bis sechs Millisekunden aufeinander folgen, nicht mehr auseinanderhalten.
Die Hörschwelle verhindert auch, dass der Mensch das durch die Brownsche Molekularbewegung der Luft erzeugte Rauschen vernimmt. Und das zeitlebens tief-frequente Rauschen des Blutes im eigenen Organismus ist unhörbar, weil es vom Gehör ausgefiltert wird...

Reduziert sich das Laut-Material für die Donaueschinger Vertonungen auf Lautproduktionen und Geräusche, die durch den menschlichen Gehörsinn wahrgenommen werden können? Im Inneren mit Mikrofonen versehene Röhren unterschiedlicher Längenmaße und mit Eigenfrequenzen im Hörbereich befinden sich an verschiedenen Orten in der Stadt und Vertonen hier die alltäglichen und nicht alltäglichen Geräusche. Die derart umgewandelten Klänge werden zeitgleich per Lautsprecher im Außenbereich der Christuskirche hörbar. Hier werden sie – gemeinsam mit den Geräuschen vor Ort – unmittelbar wiederum Vertont und sodann live-elektronisch ins Innere der Kirche übertragen. Simultan wird in der Kirche zu bestimmten Zeiten ein kurzes Werk für Violoncello, Steinröhren und Live-Elektronik aufgeführt.

Das Prinzip der Klanginstallationen Vertonung basiert auf der physikalischen Tatsache, dass jeder Hohlkörper in seinem Inneren einen seiner Dimension und Beschaffenheit entsprechenden Frequenzraum besitzt, welcher durch Einwirkungen von außen in seiner spezifischen Eigenfrequenz angeregt und zum Schwingen gebracht werden kann. Bei Vertonungen werden die Hohlkörper inwendig mit Mikrophonen bestückt und derart deren Eigenfrequenzenen zum Beispiel aus Umgebungsgeräuschen herausgefiltert. Mittels elektronischer Verstärkung kann diese Klangumwandlung hörbar gemacht werden.

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Renate Hoffleit