Werke des Jahres 2003

Duo erikm / Christian Fennesz

Stand

SWR2 NOWJazz Session

Ein ganz ähnliches Abenteuer wie das Evan-Parker-Projekt im zweiten Teil der SWR NOWJazzsession bildet das im ersten Teil des Abends erklingende Duo, das sich, ohne dass dies ursprünglich intendiert gewesen wäre, bestens zur Idee einer Symbiogenese fügt: erikm, in Marseille lebender Turntable-Spieler aus Mulhouse, und Christian Fennesz, Notebook-Pionier der ersten Stunde aus Wien, spielen in Donaueschingen ihr erstes gemeinsames Konzert. Zwei 'musikalische Organismen', die bereits vor ihrer Fusion auf einen gemeinsamen Kern blicken können: die Gitarre. Sowohl Fennesz als auch erikm, die vor allem auch als Solisten zu den international renommiertesten Elektronik-Musikern zählen, können nämlich auf eine bewegte Vergangenheit als Rockgitarristen zurückblicken. Bei beiden Musikern ist dies unterschwellig noch spürbar, obwohl sich Fennesz und erikm, die vor ihrem Auftritt in den SWR-Studios in Baden-Baden zu Proben erstmals aufeinander trafen, nun ganz den geräuschhaften elektronischen Abstraktionen hingeben.

Bei Fennesz bildet das Gitarrenspiel immer noch eine wichtige Soundquelle: Ei-gene Improvisationen werden aufgezeichnet und dann am Computer elektronisch weiterverarbeitet. "Ganz, ganz selten verwende ich rein computergenerierte Sounds", schildert Fennesz seine Vorgangsweise, "hauptsächlich nutze ich Gitarrenklänge, die ich selbst aufnehme und extrem verändere oder in denen ich dann etwas finde, womit ich weiter-arbeiten kann. In der Wohnung habe ich auch ein Klavier, das ich gleichfalls als Ausgangspunkt benutze." Am stärksten spürbar ist der Einfluss des Gitarrenspiels in einer seiner jüngsten Solo-CDs, "endless summer", in der durch elektronische Sounds hindurch das Feeling des sonnigen Westcoast-Rock der Woodstock-Jahre durchschimmert: übermalt und gescratcht von der neuen Technik, easy-going und widerborstig zugleich.

Das Instrumentarium, das Fennesz für seine akustischen Übermalungen verwendet, ist gängige Computer-Software: "Hauptsächlich verwende ich Max/MSP, zum Arrangieren und Mischen benutze ich auch Logic Audio und Pro Tools. In jüngster Zeit setze ich auch wieder analoges Equipment ein, wie alte Siemens-Röhren aus den frühen sechziger Jahren, die gleichen, die in der Beatles-Konsole drinnen waren. Mir geht's genau um diese Mischung, um eine versteckte historische Komponente in die Klänge hineinzubringen." Womit sich Fennesz erneut trifft mit erikm und dessen Faible für Lo-Fi-Geräte.

Was den Konnex zur Rockmusik betrifft, ist der französische Künstler jedoch eher den entgegengesetzten Weg gegangen: Anfangs noch stark an vorhandenem Material für seine Turntables orientiert, hat er längst auch eine Vielzahl anderer elektronischer Geräte für sich entdeckt und ist dadurch eher abstrakter geworden. Standen am Beginn seiner Karriere bis zur Unkenntlichkeit verfremdete, einander überbordend überlappende Sounds aus allen nur erdenklichen stilistischen Ecken der Musik im Zentrum, so ist erikm in jüngster Zeit sparsamer geworden und beschränkt sich oft auf die allmähliche Veränderung und Überlagerung selbst erzeugter, abstrakter Schallquellen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass er sich noch eine andere Inspirationsquelle erschlossen hat: die bildende Kunst, die er auch selbst in Collagen aus Papier oder in experimentellen Videos ausübt, was sich wiederum in seinem jüngsten, gleichfalls von Collagetechniken bestimmten musikalischen Schaffen niederschlägt. "Meine Arbeit geht mehr und mehr in den Bereich der elektroakustischen Musik", erzählte erikm in einem Interview mit der NMZ, weil ich stärker an der Textur der Klänge arbeiten will. Ich habe jetzt einen ganz guten Computer, der mir die Möglichkeit bietet, wirklich in das Innere des Materials einzudringen, gewissermaßen in seine molekulare Substanz, in seinen atomaren Kern. Da will ich hin."

Beide Musiker verbindet die unbändige Lust, aus konkretem Geräusch- oder Klangmaterial durch elektronische Bearbeitung ganz neue, von Störgeräuschen vielfach überlagerte Sounds zu kreieren. Zwei De-Konstrukteure des Klangs, die diesen auf kreative Weise elektronisch neu re-konstruieren.

Obwohl beide Musiker für ihre solistische Tätigkeit bekannt sind, spielen sie immer wieder in anderen Kontexten: Fennesz ist des öfteren mit dem Amerikaner Jim O'Rourke oder mit Peter Rehberg zu hören, zuletzt fand er sich auch in der stärker vom Jazz ausgehenden Improvisationsgruppe Polwechsel wieder. Auch erikm kann auf eine Reihe von musikalischen Partner-schaften verweisen, die oft auch in kompositorische Bereiche hineinreichen, wie zum Beispiel seine Kollaborationen mit Luc Ferrari. Musiker wie Christian Marclay, Jérôme Noetinger oder die Gruppe Voice Crack zählen zu den ständigen Partnern von erikm. Mit anderen Worten: Das Zuhören-Können und Aufeinander-Reagieren, wohl die wichtigsten Pfeiler einer gelungenen Improvisation, ist den beiden Elektronik-Musikern also keinesfalls fremd. Weshalb auch diese musikalische Symbiose mit großer Spannung erwartet werden darf.

Reinhard Kager

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SWR