Zum Konzept der diesjährigen Donaueschinger SWR2 NOWJazz Session
Die Anekdote ist bezeichnend: Als die schottische Vokalistin Maggie Nicols und die britische Fagottistin Lindsay Cooper 1977 Europas erste ausschließlich aus Frauen bestehende Improvisationsgruppe gründeten, nannten sie diese schlicht Women's Improvising Group. Flugs hatte der Veranstalter beim ersten Konzert des Ensembles eine Feminist Improvising Group daraus gemacht. So ungewöhnlich war eine reine Frauengruppe selbst in der Zeit der Hochblüte des Free Jazz noch, dass Jazzmusikerinnen wie selbstverständlich mit Feministinnen gleichgesetzt wurden. Obwohl die Gruppe sich nie als politisches Agitations-medium verstand, behielt sie diesen Namen – und schrieb Jazzgeschichte. Nicht wegen des Umstands, dass nur Frauen darin spielten, sondern weil das Ensemble neue Formen des Improvisierens suchte, indem es auch Performance-Elemente in seine Auftritte integrierte. Erste gehässige Etikettierungen aus der Männerecke – von „redlichen weißen, schwarzen, lesbischen Frauen der Arbeiter- und Mittelklasse“ war in Kritiken die Rede, gefolgt vom Vorwurf, die Musikerinnen würden ihre Instrumente nicht beherrschen – führten zur Ironisierung dieser theatralischen Momente. Lustvoll parodierte die Feminist Improvising Group typisch männliche Spielgesten, wie das Koitus-ähnliche Wippen der Bläser mit ihren langen Blechrohren. In gewisser Weise politisierte sich die Gruppe also im Laufe ihres sechsjährigen Bestehens, jedoch nur als Reaktion auf die aggressiven Gesten der männerdominierten Improvisationsszene.
Mittlerweile hat sich die Situation zum Glück gewandelt. Niemand nimmt heute mehr Anstoß, wenn Saxofonistinnen ähnlich rote Köpfe bekommen oder Schlagzeugerinnen ähnlich schwitzen wie ihre männlichen Kollegen. Wie selbstverständlich sind Frauen auf allen instrumentalen Positionen integriert in die freie Improvisationsszene, wenngleich ausschließlich mit Musikerinnen besetzte Gruppen immer noch eine Seltenheit sind. Drei dieser Frauengruppen stehen auf der Bühne der diesjährigen Donaueschinger Musiktage. Nicht weil es gilt, sie als Raritäten zu präsentieren, sondern wegen ihrer hohen musikalischen Qualität. Denn dass Jazzmusikerinnen (female improvisers) ebenso ausgezeichnet (famous) spielen können wie ihre männlichen Kollegen, ist evident.
Zwei Generationen treffen an diesem Abend aufeinander. Mit der schottischen Vokalistin Maggie Nicols, der französischen Kontrabassistin Joëlle Léandre und der Schweizer Pianistin Irène Schweizer treten drei Musikerinnen der ersten Stunde der frei improvisierten Musik in dem Trio Les diaboliques auf. Alle drei hatten einander bereits in zahlreichen Sessions und Gruppierungen, unter anderem auch in der Feminist Improvising Group kennengelernt, ehe sie Anfang der 1990er Jahre ihr Trio gründeten, von dem mittlerweile vier CD-Produktionen vorliegen. Mit dem seit 2004 bestehenden amerikanischen Duo Phantom Orchard, das die Laptop-Spielerin Ikue Mori und die Elektro-Harfenistin Zeena Parkins bilden, und dem norwegischen Quartett SPUNK mit der Trompeterin und Blockflötistin Kristin Andersen, der Cellistin Lene Grenager, der Hornistin Hild Sofie Tafjord und der Vokalistin Maja Ratkje sind Vertreterinnen der jüngeren Generation auf der Bühne.
Das Konzert bietet auch eine Konfrontation unterschiedlicher Stile: Während Les diaboliques aus der „klassischen“ Free Jazz-Szene hervorgegangen ist, wird das Spiel von Phantom Orchard und SPUNK auch stark von elektronischen Elementen geprägt. Dennoch wäre es falsch, Les diaboliques in die Ecke eines konventionellen Free Jazz zu drängen. Das rhyth-misch pulsierende Klavierspiel von Irène Schweizer, die dabei auf ihre Fertigkeiten als Schlagzeugerin zurückgreift, das an ungewöhnlichen Klangfarben reiche Kontrabass-Spiel von Joëlle Léandre, die ihre Erfahrungen als klassisch ausgebildete Interpretin zeitgenössischer Kompositionen einfließen lässt, und der zwischen Flüstern und Schreien, zwischen tiefem Grummeln und hohem Zirpen oszillierende Vokalstil von Maggie Nicols, die dank ihrer Ausbildung als Tänzerin oft auch Performance-Einlagen integriert, rücken die stets freien Improvisationen weit ab vom Klischee des ungebremst darauf loshämmernden Free Jazz. „Freie Improvisation im Spannungsfeld der nachfolgenden Entwicklungen des Free Jazz, ein historisch und ironisch gebrochener Blick auf die Anfänge der Frauenbewegung und ungebremste Spielfreude: Das ist das Dreieck, in dem diese Musik pulsiert“, so charakterisierte Nina Polaschegg bündig die Musik von Les diaboliques.
Ganz anders wird die Musik des zweiten Sets gelagert sein, das mit zwei Kurzauftritten von SPUNK und dem Duo Phantom Orchard beginnt, ehe die beiden Gruppen sich in einem eigens für die Donaueschinger Musiktage entwickelten Projekt zu einem Phantom Orchard Orchestra unter der Leitung von Ikue Mori und Zeena Parkins fusionieren werden. Beide Gruppen kokettieren offen mit der Popularmusik – Rockelemente und Songstrukturen sind ihnen keineswegs fremd –, brechen diese aber mit mal subtilen, mal brachialen elektronischen Mitteln. Hinzu gesellt sich bei SPUNK die reiche Erfahrung mit der zeitgenössischen Musik, was zu einer spannungsgeladenen Mischung mit den kreativen Klängen von Phantom Orchard führen dürfte. Das Phantom Orchard Orchestra II kann übrigens als Fortführung eines Projekts beim SWR2 NEWJazz Meeting 2008 betrachtet werden, in dem Ikue Mori und Zeena Parkins erstmals damit begannen, die phantasmagorische Klangwelt ihres „Geistergartens“ ins Orchestrale zu projizieren. Und das macht durchaus Sinn. Denn die üppig-kunterbunte Vielfalt, die Mori und Parkins auf ihrer ersten Duo-CD wie eine giftgrüne Oase inmitten einer damals meist abstrakt-grauen elektronischen Wüste pflanzten, war durch vielfaches elektroni-sches Overdubbing entstanden, das sich live nur schwer reproduzieren lässt. Mithilfe der Elektronik und des Instrumentariums von SPUNK dürfte uns das Projekt, in den Worten Ikue Moris, „in eine Landschaft oder einen mysteriösen Garten mit Früchten oder Blumen entführen, in dem wir noch nie gewesen sind außer in unseren Träumen“.
Reinhard Kager
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