Donaueschinger Musiktage 2013 | Werkbeschreibung

Werke des Jahres 2013: "Kerguelen"

Stand
Autor/in
Alberto Posadas, aus dem Spanischen: Till Knipper

"Kerguelen" heißt eine 3000 km südöstlich von Australien gelegene, vulkanische Hochebene. Sie ist fast vollständig im Wasser des südlichen Indischen Ozeans versunken. Nur ein kleiner Teil ragt über die Oberfläche hinaus und bildet ein Archipel gleichen Namens. Die Wahl dieses Titels verdankt sich der Tatsache, dass diese geologische Formation besonders gut das Verhältnis zwischen solistischem Trio und Orchester beschreibt. Es wird hierbei eine dialektische Beziehung vermieden, die die Konzertform seit ihren Anfängen prägt und auch heute noch einen Großteil aktueller Kompositionen charakterisiert. Im Gegensatz hierzu wird eine Beziehung angestrebt, bei der das Trio aus dem Orchester hinausragt, so dass sich letzteres wie eine Hochebene verhält, über das sich das musikalische Material des Trios erhebt.

Die Wahl eines solchen Beziehungsgefüges konditioniert die Auswahl des Materials umfassend. Die charakteristische "akrobatische" Virtuosität der konzertanten Formen wird durch eine weniger offensichtliche Virtuosität ersetzt, frei von theatraler Gestik. Gefordert wird eine virtuose Kontrolle über den Klang, der durch das Mundstück, die Haltung der Instrumentalisten, die physikalischen Eigenschaften der Klangerzeuger, die Griff- und Atemtechnik mitgeprägt wird. Das heißt, die Virtuosität ist unmittelbar aus der spezifischen Eigenart der solistischen Instrumente abgeleitet. Deswegen sind die Materialien aufs Engste mit diesen Instrumenten verbunden.

Es ist eine Arbeitsweise, die ich als "Mikroinstrumentation" oder "generative Instrumentation" bezeichne. Hierbei werden, auf der Ebene von Tonhöhen und Klangfarben, mikroskopisch kleine Räume gesucht, die sich zwischen den konventionellen Klängen ergeben, für die die Instrumente eigentlich gebaut wurden. Diese mikroskopischen Materialien, die sich in einem investigativen Prozess anhand der Instrumente ergeben, verwandeln sich in Struktur generierende Elemente, die ihre eigene Zeitlichkeit erhalten.

Im Fall von "Kerguelen" wurde dieser investigative Prozess in Zusammenarbeit mit dem Solistentrio des ensemble recherche aus Freiburg durchgeführt. Das Trio wird als ein einziges Instrument behandelt, d.h. so homogen wie nur möglich. Dies ist offensichtlich eine Konsequenz der Vermeidung dialektischer Strukturen. In Wirklichkeit handelt es sich nicht um drei Solisten, sondern um einen polyphonen Solisten, verteilt auf drei Instrumente, die jeweils wiederum auf ihre eigene Weise multiphonisch behandelt werden. Diese Multiphonie hat, aufgrund des ausgewählten Materials einerseits und der ausgeprägten Linearität andererseits, ihre stärkste Ausformung in der Kadenz. So wie der konzertante Duktus insgesamt, entfernt auch diese sich weit vom tradierten Konzept. Sie strebt danach, alle durch die Mikroinstrumentation aufgefundenen Zwischenräume zu durchlaufen.

Stand
Autor/in
Alberto Posadas, aus dem Spanischen: Till Knipper