Anders als viele meiner Stücke der letzten Jahre ist dieses ziemlich unkonzeptuell – eine im Detail ausgearbeitete Beschäftigung mit Mikrorhythmik und Mikrointervallik. Klaviersamples, die sich extrem schnell und in feinsten Tonhöhenstufen abspielen lassen, können klanglich-parametrische Entwicklungen (Glissando, Accelerando/Ritardando, Crescendo/Diminuendo) selbst in kleinsten Abständen in jeder Verlaufsform sehr präzise darstellen. Zwei Aspekte sind darin angelegt, die mich interessieren: Aus der Kombination, Verkettung und Überlappung verschiedener Prozesse, beispielsweise eine leicht exponentielle Beschleunigung auf linear centweise absteigenden Tonhöhen mit stark logarithmisch zunehmender Lautstärke, ergibt sich eine ungeheure Vielfalt an Wahrnehmungsdifferenzierung, die "Ästhetik der Kurve" und der Krümmung. Die resultierenden Gestalten erinnern teilweise an physikalische Modelle, etwa von einem aufspringenden Ball – nur dass dieser im Virtuellen auch nach oben fallen kann; ein schönes Symbol. Zum anderen entsteht dabei ständig der Widerspruch, dass Bewegung durch eine Folge unbewegter Einzelmomente dargestellt wird, das universell-menschliche Verfahren der Informationsverarbeitung, von der Versprachlichung bis zur Digitalisierung, die das Leben kaum verzichtbar erleichtert und potenziert und doch unendlich vertrackt ist. Der Widerspruch selbst ist Bewegung. Für den Ansatz legte Mathias Spahlingers "akt, eine treppe herabsteigend" (Donaueschingen 1998) den Grundstein, an den ich anknüpfe. Das Orchester hat zu den Sampleiterationen eine entsprechende Harmonik der nach oben oder unten sich mehr oder weniger exponentiell vergrößernden oder verkleinernden Intervalle, wie auch Akzentuierungen, Einfärbungen, rhythmische Dichten und freiere Glissandinetze. Ähnlich früheren Arbeiten war für die Produktion des Ganzen der Zufallsgenerator essentiell; "TT1" entstand aus einer langen Durchspielung von Möglichkeiten, aus denen kompositorisch geschöpft wurde.
Partitur: http://bit.ly/1K12aFX
English
Unlike many of my pieces in recent years, this piece is quite unconceptual, engaging in detail with microrhythms and microintervals. Piano samples that can be played back very quickly and at finely defined pitch levels can represent sonic-parametric developments (glissando, accelerando/ritardando, crescendo/diminuendo) even in the smallest intervals and in every configuration. Two aspects here interest me: the combination, concatenation, and overlapping of various processes, for example of a slightly exponential acceleration on linear cent-wise descending pitches with a logarithmically increasing volume, results in an amazing variety of differentiated perception, the "aesthetic of the curve." The shapes that result recall in part physical models like that of a ball bouncing, but one that can also "fall" upward. On the other hand, this results in the contradiction that movement is represented by a series of unmoved individual moments, the universal-human techniques of processing information from linguification to digitalization that ease and enhance life in ways that we can scarcely do without and yet are endlessly intricate. Contradiction itself is in motion. Mathias Spahlinger created the cornerstone "akt, eine treppe herabsteigend" (Donaueschingen 1998) that I build upon here. The orchestra plays a harmony corresponding to the sample iterations that enlarge or lessen more or less exponentially upward or downward, as well as accentuations, colorings, rhythmic densities, and free networks of glissandi. Like earlier works, for the production of this work the chance generator played an essential part: "TT1" emerged from playing through the many possibilities that were used for the composition.
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- Themen in diesem Beitrag
- Johannes Kreidler, TT1 für Orchester und Elektronik
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