Seit 30 Jahren an der Domkirche Stuttgart

Stuttgarts Mädchenkantorei: Anders als die Jungs beim Fußball und beim Singen

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Autor/in
Sebastian Kiefl

1993 begann Martin Dückers Engagement an der Stuttgarter Domkirche. Bereits ein Jahr später gründete er drei Ensembles, unter ihnen die Mädchenkantorei Stuttgart. Ein Porträt zum 30-jährigen Bestehen.

Die Musiklandschaft in Stuttgart ist bunt mit ihren etlichen professionellen, semi-professionellen und Amateurensembles. Mitten in diese Landschaft platzierte der damals neue Dommusikdirektor Martin Dücker 1993 drei neue Ensembles: die Mädchenkantorei, die Domkapelle als Kammerchor und die Schola Gregoriana.

Wie ein kleines Weihnachtsgeschenk könnte die Zeitungsannonce auf die Mädchen gewirkt haben, die im Winter 1993 noch auf der Suche nach einem passenden Chor im Stuttgarter Raum waren. Mit der Mädchenkantorei wurde schließlich der erste reine Mädchenchor in Stuttgart gegründet, zwei erste Klassen mit je zwölf Mädchen machten den Anfang.

Mit dabei waren Schülerinnen ab der ersten Klasse, die Jüngste war gerade mal fünf Jahre alt. Knapp ein Jahr nach der Zeitungsannonce folgten die ersten Auftritte. Der Advent wurde nun mit der Mädchenkantorei musikalisch untermalt.

Józef Swider: Jubilate Deo

Die Lösung bei mangelndem Repertoire

Die Mädchenkantorei wuchs rasant, auch dank einer institutionellen Förderung durch die Stadt Stuttgart. Genug Sängerinnen waren stets verfügbar, auch wenn das Notenmaterial der letzten Jahrhunderte schnell zu verstehen gab, dass ein Mädchenchor im Kirchenkontext eher ungewöhnlich ist: Während etliche Kompositionen für Knabenchöre existieren, sind die Regale mit Werken für Mädchenchor äußerst klein.

Ein Zustand, der auch dank der Stuttgarter Mädchenkantorei in Zukunft vielleicht nicht mehr allzu gravierend ist. Denn es wurden schon einige Auftragskompositionen für den Chor geschrieben, so etwa von Valentin Rathgeber und Minas Borboudakis.

Sollte mal eine Komposition einen Mädchen- und einen Knabenchor benötigen, ist die Kooperation zwischen der Mädchenkantorei und dem Collegium Juvenum, dem Knabenchor des Stuttgarter Doms, nicht unüblich. Ganz im Gegenteil: Dadurch entstehe ein enormes Spektrum, erklärt Martin Dücker.

Felix Mendelssohn Bartholdy: Laudate pueri Dominum aus Drei Motetten für Frauenchor und Orgel, op. 39

Weltuntergang durch Mädchenchöre?

Mädchenchöre sind zwar nach wie vor eine Besonderheit, doch Stuttgart war 1994 nicht die erste deutsche Stadt, die ein solches Ensemble innehatte. In Würzburg entstand der erste reine Mädchenchor in Deutschland, gefolgt vom Kölner Dom und ein wenig später Aachen. Nicht ganz ohne Kritik männlicherseits, wie Dücker erklärt:

Die Männerstimmen meinten […] die Welt geht unter, das Abendland bricht zusammen, weil Frauen auf einmal singen.

Ein internationaler Blick zeigt, dass sich selbst im musisch-konservativen Großbritannien mittlerweile Mädchenchöre geformt haben.

Bengt Johansson: Pater noster

Elternschreck: Die Pubertät

Auch wenn die Tonhöhe zwischen einem Knaben- und einem Mädchenchor recht ähnlich ist, bestehen jedoch deutliche Unterschiede, vor allem in der Leitung eines solchen Chores, erklärt Martin Dücker: „Die spielen auch schon anders Fußball und so singen sie auch.“

Das äußere sich zum einen in der Klangfarbe, doch vor allem beim Voranschreiten des Alters kristallisieren sich die Unterschiede heraus. Bei den Männern ist die Pubertät freilich ein bedeutender Einschnitt im Klangbild, doch auch bei den Mädchen macht die Pubertät einen Unterschied. So nehme die Intensität der Klanggebung zu, ein neuer Klang entstehe, erklärt Dücker.

Felix Mendelssohn Bartholdy: Hebe deine Augen auf zu den Bergen aus Elias, op. 70

Nebenjob: Sängerin im Mädchenchor

Lydia Schimmer ist seit 2022 Domkapellmeisterin in Stuttgart und damit auch die Leiterin der Mädchenkantorei. Die Nachwuchssituation beschreibt sie als gut, doch der Wandel in Richtung Ganztagsschulen stelle die Mädchen vor Schwierigkeiten. Zwei Proben pro Woche plus Ganztagsschule, das sei eine Herausforderung.

Dass die Mädchenkantorei am Dom, also einer katholischen Institution angesiedelt ist, hat für die Teilnehmerinnen keine allzu große Bedeutung. Immer mehr der Kinder sind entweder konfessionslos oder einer anderen Konfession zugehörig.

„Viele wissen anfangs nicht genau, was Liturgie ist oder wie man sich verhält. Sie lernen es aber mit der Zeit“, erklärt Lydia Schimmer. „Wir bauen liturgische Bildung in die Chorarbeit ein, machen Kirchenführungen und erklären den Unterschied zwischen Konzert und Gottesdienst.“

Ob katholisch, evangelisch oder konfessionslos: In der Weihnachtszeit hat jeder sein Lieblingslied. Umso schöner, wenn es auch professionell von einer Mädchenkantorei gesungen wird.

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