Knabenstimmen haben ein Verfallsdatum
Ein magischer Nimbus umgibt Knabenstimmen: Der glockenhelle Klang erinnert viele, gerade in der Kirchenmusik, an den göttlichen Funken. Aber dieser Funken geht irgendwann flöten.
Diese Erfahrung muss jetzt auch Nathan Thomas machen. Der 14-Jährige war bisher Solist und sang im Knabenchor Collegium Iuvenum in Stuttgart. Musik ist für Nathan mehr als nur ein Hobby, sie ist auch sein Berufswunsch.
„Ich will mal Sänger werden, Solokünstler, Opernsänger“, erklärt Nathan. „Das ist ein harter, steiniger Weg. Da braucht man vielleicht Glück, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit.”
Junger Sänger mit großen Plänen: SWR Kultur hat Nathan besucht
Stimmbruch und was jetzt?
Bis vor kurzem wurde Nathan für seine glockenhelle Stimme bewundert. Er hatte zahlreiche Auftritte als Solist und mit dem Chor. Jetzt ist der 14-Jährige in den Stimmbruch gekommen, von einem Tag auf den anderen.
„Ja es ist schade, weil man dann die Höhe verliert”, findet der junge Sänger. „Es ist auch manchmal ärgerlich, aber man kann nichts erzwingen.” Am meisten belastet ihn die Ungewissheit: Wie wird sich seine Stimme – und vor allem seine Stimmlage – in den nächsten Wochen, Monaten oder Jahren verändern?
Auch Nathans Vater Ralph Thomas bewegen diese Fragen: Niemand weiß, wie sich die Stimme seines Sohnes nach dem Stimmbruch anhören und ob sie noch die gleiche Kraft haben wird: „Diese ganzen zehn Jahre an Ausbildung und Übung, die können ja theoretisch auch dahin sein. Und das wäre halt schade.”
Nächster Halt: Mutantenchor
Mit dem Stimmbruch wechseln junge Männer in der Regel von Sopran oder Alt zu Tenor, Bariton oder Bass. Das kann ein krasser Einschnitt sein, weiß Björn Rodday. Er ist Geschäftsführer der Stiftung Sayner Hütte und ehemaliger Leiter des Landesjugendchores Rheinland-Pfalz.
Als Elfjähriger kam Rodday in den Windsbacher Knabenchor und das angeschlossene Internat. Mit 13 kam schließlich der Stimmbruch, ein Jahr lang hatte er den Status „Mutant”.
Roddays neue Wirkungsstätte wurde der „Mutantenchor”, ein Sammelbecken für all die Jungs, die mit ihren Stimmen haderten. „Die Veränderung der Stimme hat manche Mitschüler schon getroffen, weil sie sich nach dem Stimmbruch neu finden und behaupten mussten“, erinnert sich Rodday rückblickend. „Das beschäftigt einen schon und dann kommt ja noch alles andere dazu, was einen während der Pubertät so umtreibt.“
Am schlimmsten für Rodday selbst war es, nicht mehr bei den Konzertreisen dabei sein zu können. Ein Jahr lang musste er in die Zwangspause, nach dem Stimmbruch sang er im Bass.
Ist die Gefahr für ein Karriere-Aus durch Stimmbruch real?
Dass Schüler das Singen nach dem Stimmbruch aufgeben mussten, hat Rodday selbst tatsächlich noch nicht erlebt. Gerade wenn die Stimme davor gut ausgebildet wurde, stehe dem Gesang nach der Veränderung nichts im Wege.
„Ein bisschen achtsam sollte man in der Zeit, in der alles im Wandel ist, umgehen und nicht ständig ins Stadion gehen“, rät Rodday jungen Sängern. „Auch zu früh festlegen sollte man sich nicht, weil sich die männliche Stimme noch bis ins Erwachsenenalter verändert.“
Nathan freut sich auf die neue Stimme
Auch Nathan nimmt seinen Stimmwechsel jetzt gelassen: „Ich freue mich mittlerweile auf die neue Stimme. Ich habe mich auch schon darauf vorbereitet“, verrät er. Früher habe er zwar schon ein bisschen Angst gehabt, aber nun findet er: Tenor sein ist doch auch schön. „Da kannst Du auch Partien singen. Und auch wenn Du Bass wirst, da gibt es auch was Schönes.“
Seinen großen Traum muss Nathan also definitiv nicht begraben. Aber eine kleine Pause sollte er jetzt einlegen. Wie lange der Stimmbruch dauert, ist vollkommen individuell.
Sein Ziel behält Nathan trotzdem fest im Griff: „Ich wünsche mir, dass ich Singen zu meinem Beruf machen kann und dadurch glücklich werde und damit auch andere glücklich machen kann.“