Musikalische Reise durch den Kosmos
Die „Kosmos Suite“ für Jazzband und Chor ist eine musikalische Reise durch den Kosmos zwischen Jazz und klassischer Chormusik, zwischen Pop und Improvisation, zwischen Ordnung und Chaos. Sie besteht aus fünf Sätzen: Spark (Neubeginn) / Blast (Expansion) / Life (Empathie) / Void (Angst) / Home (Heimkehr).
SWR2: Lukas DeRungs, wie muss man sich Ihre „Kosmos Suite“ im Planetarium vorstellen?
Lukas DeRungs: Das werde ich selbst erst am 5. Mai im Planetarium Mannheim herausfinden, da wir das so noch nie gemacht haben! Ich denke, es ist ein bisschen so, als ob man das Album anhört, aber der Chor steht nicht vor einem, sondern um die Zuhörer herum, man ist vollkommen eingehüllt von Klang. Trotzdem hat es die Energie von einem Konzert, weil sechs Musiker*innen auf der Bühne live dazu spielen.
Und am Himmel des Planetariums sind Farben und Formen zu sehen, welche die Story der Suite visuell zum Ausdruck bringen. Das entwickelt der Mannheimer Künstler Benjamin Jantzen, das Sounddesign macht Daniel Deboy. Für mich ist es sehr spannend, weil es die Kombination dieser Elemente so noch nie gab, glaube ich zumindest. Das Publikum kann hoffentlich tief in die Musik- und Bildwelt eintauchen.
Was hat Sie als Jazzmusiker überhaupt daran gereizt, ein großes Projekt mit Jazzband und Chor zu machen?
Eigentlich ist es ganz simpel: Klassische Chormusik und instrumentaler Jazz sind – seit ich Musik mache – zu meinen größten Leidenschaften geworden, und das Projekt ist der Versuch, beides zu kombinieren. Das Schöne daran ist, dass für mich viele Momente entstehen, in denen ich einfach nur Zuhörer sein kann. Und gleichzeitig kann ich in dem Projekt vieles anwenden, was ich gerne mache und gut kann: Musik schreiben, Klavier spielen, dirigieren, Ideen umsetzen, Menschen zusammenbringen.
Der Jazzchor Freiburg ist im Südwesten kein unbekanntes Ensemble – wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen und wie ist es gelaufen?
Vor einigen Jahren stand ich schon als Beatboxer bei Konzerten des Jazzchors auf der Bühne. Und irgendwann hat Chorleiter Bertrand Gröger mitbekommen, dass ich eigentlich Pianist bin und auch Musik schreibe.
Als ich ihm erzählt habe, dass ich eine Suite für Chor komponieren will, wurde er hellhörig. Ich habe ihm Entwürfe geschickt, er war begeistert, und dann haben wir gemeinsam eine Tour geplant. Jetzt im Mai kommen nochmal vier Konzerte mit dem Jazzchor Freiburg, am7. Mai gastieren wir im Pforzheimer Kulturhaus Osterfeld, ich freue mich sehr drauf.
„Kosmos Suite“, „Here is my Soul“ live, Freiburger Jazzchor, Neele Pfleiderer, Laurence Wilkins & David Brooke
Sie setzen Blöcke mit Chor und Band solo, beide spielen aber auch zusammen. In welchem Verhältnis stehen sie?
Ich habe beim Komponieren versucht, ein ausgeglichenes Verhältnis zu erreichen: Beide Ensembles sollen einzeln wahrgenommen werden können und das machen, was sie jeweils am besten können.
Zusammen spielen sie dort, wo die Musik eine hohe Dichte braucht. Hinter der Trennung steht natürlich auch ein praktischer Gedanke: Sowohl von der Probenarbeit als auch von der akustischen Umsetzung ist es einfacher, wenn Parts separat geprobt und performt werden können. Drums und E-Gitarre können natürlich laut werden, und das sollen sie auch, und dann hört sich der Chor nicht mehr so gut.
Sie thematisieren in der „Kosmos Suite“ die Spannung zwischen Ordnung und Chaos. Wie haben Sie das umgesetzt?
„Kosmos“ lässt sich ja mit „Ordnung“ übersetzen und ist insofern genau der Gegenpol zum Chaos. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich auch die Musik, so war zumindest mein Konzept beim Schreiben, die Wahrnehmung ist schlussendlich subjektiv. Teil 1, 3 und 5 stehen für Ordnung, Ruhe, Harmonie (Liebe, Vertrauen, Geborgenheit) und Teil 2 und 4 für Chaos (Aggression, Verwirrung, Angst).
Es ist eine Art Lebensgeschichte von der Geburt bis zum Tod, dabei bleibt offen, ob es sich um ein menschliches Leben handelt oder um einen Himmelskörper … Und wir kennen ja alle diese zwei Grundkräfte: Manchmal wollen wir Dinge ordnen, brauchen Klarheit und Strukur, manchmal wollen wir ausbrechen, suchen Freiheit, Entwicklung, Dynamik. Jazz kann beides sein – chaotisch und geordnet.
Den Titel „Kosmos Suite“ mussten Sie sicher schon erklären? Wollen Sie kosmische Musik machen?
Ich wollte vor allem Musik machen, in der jede und jeder für sich etwas Eigenes finden kann. Musik hat immenses Jetzt-Potenzial und kann einen sehr gut in den Moment holen. Diese Präsenz finden wir am Ende alle total geil, aber wir finden sie im völlig übersättigten Alltag häufig nicht, sind abgelenkt, in tausend Gedanken und Sollen-Müssen.
Wie verändert sich die „Kosmos Suite“ von Konzert zu Konzert?
Im Herbst 2022 hatten wir sechs Shows, die zum Teil völlig unterschiedlich waren. Die Raum-Akustik macht sehr viel aus, aber auch die Stimmung im Ensemble, die Energie des Publikums, wie vertraut sich die Musik gerade anfühlt, ob man sich konzentrieren muss oder es einfach fließen lassen kann.
Und die Improvisationen sind ja ohnehin jedes mal anders. Ich hatte die Live-Version der Suite auf 70 Minuten konzipiert, im ersten Konzert war sie fast 90 Minuten lang, weil wir in der Kirche jeden voll ausgekostet haben. Für die kommenden Shows habe ich sie dann etwas gekürzt, um sie noch stimmiger, kompakter zu machen.
Wer kommt zu Ihren Konzerten und wie sind die Reaktionen des Publikums?
Die Leute waren teilweise unglaublich begeistert und tief berührt, aber manche sicherlich auch überfordert, da einem viel entgegenkommt: ein großes Ensemble, emotionale Dichte, Texte und Visuals. Die Struktur der Komposition ist beim ersten Mal hören vermutlich schwer zu erfassen, man muss sich also einlassen.
Ich denke, das Projekt hat großes Potenzial, auch Menschen ohne viel Jazz-Erfahrung abzuholen, auch solche waren in den Konzerten. Aber solange „Jazz“ auf dem Plakat steht, vermittelt das natürlich ein bestimmtes Genre, was es aber eigentlich gar nicht ausschließlich ist. 2024 wird das Projekt auch mit klassischen Kammerchören zu hören sein.
Sie spielen auch mit eigenem Quintett und im Rap-Duo „Kleister / Kleischter“ ...
Also, „Kleister / Kleischter“ ist wirklich was völlig anderes, verschiedener könnten Projekte wahrscheinlich gar nicht sein. Da stehe ich mit Laptop, Midi-Keyboard und Synthi auf der Bühne, beatboxe, rappe und raste auch mal aus, wenn es sein muss. Wir kennen uns schon ewig, reisen zu zweit mit dem Zug, spielen in kleinen Clubs vor einem jungen Publikum, Studis, linksalternative Leute ... Menschen, die Bock haben auf Party und auf trotzdem irgendwie auch intellektuelle Texte (auf hochdeutsch und allgäuerisch).
Kleister / Kleischter: Himalaya (hier im Allgäu):
Macht der Wechsel der Musikformen und Konstellationen den Reiz für Sie aus?
Ja, das macht schon sehr viel Spaß. Ich kann in den verschiedenen Projekten halt auch verschiedene Seiten von mir ausleben, manche würde ich vielleicht sonst gar nicht kennen.
Sie haben nach Schulmusikstudium und Jazzstudium in Deutschland auch an der Royal Academy in London studiert. Was haben Sie da mitgenommen?
Sehr viel. Die Zeit war anstrengend, aber auch sehr inspirierend. Ich hatte guten Unterricht und konnte mir viel selbst erarbeiten und auch zum Klavier nochmal eine andere Beziehung aufbauen. Klingt vielleicht abstrakt, macht aber viel aus. Und nicht zuletzt sind es natürlich immer auch die Leute, die man kennenlernt. Mit drei von ihnen werde ich nächste Woche wieder auf der Bühne stehen: Gitarrist Karim Saber – virtuos und extrem „dedicated“, Sängerin Immy Churchill – tolle Präsenz, hat auch Texte für die Suite geschrieben, und Trompeter Laurence Wilkins –entspannter Typ, spielt unglaublich.
Wie geht es bei Ihnen nach der „Kosmos Suite“ weiter, gibt es da schon konkrete Pläne?
Nein. Erstmal arbeite ich weiter daran, das Projekt zu etablieren. Vielleicht kommt noch ein Album in kleinerer Besetzung (Quintett oder Trio), aber momentan bin ich mittendrin im Kosmos und habe nicht viel Zeit, schon über das nächste nachzudenken.