Michael Kunze ist Liedtexter popkultureller Hits: „Griechischer Wein“ oder „Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein“ sind nur einige Erfolge. In den 80er Jahren hat Kunze seiner Karriere dann eine neue Richtung gegeben: als Übersetzer fremder und Autor und Librettist eigener Musicals: „Tanz der Vampire“, „Rebecca“, „Elisabeth“. Zum 80. Geburtstag erinnert sich Nick Sternitzke nostalgisch an seine erste Begegnung mit einem Stück von Michael Kunze.
Ich will nicht nostalgisch werden, aber eines der Stücke von Michael Kunze war eine meiner ersten bewussten theater-magischen Erfahrungen. Ich muss ungefähr 15 gewesen sein. Fünf Stunden mit einem Kleinbus nach Berlin und fünf Stunden am Abend wieder zurück nachhause – nur, um die Nachmittagsvorstellung von „Elisabeth“ im Theater des Westens zu sehen.
Sissis „wahre“ Geschichte, von Opern-Regisseur Harry Kupfer in alptraumhafte Bilder übersetzt. Librettist Michael Kunze und Komponist Sylvester Levay erzählen sie als sinfonisches Popdrama um Emanzipation, den Mythos der süßen Kaiserin konservieren sie mit fast klischeehaften Versen und Balladen – sie zerschlagen diesen Mythos aber gleichzeitig mit scharfen Riffs und keifenden Chören.
Eine Zeile überstrahlt die gesamte Partitur: „Ich gehör nur mir“
Sowas war im populären Musiktheater schon sehr außergewöhnlich. – Und dann ist da noch ein Song, der die gesamte Partitur überstrahlt: „Ich gehör nur mir“, singt die junge Kaiserin. Ein banaler, aber starker Satz, der einzig richtige für die Melodie von Sylvester Levay.
„Das hat eine besondere Resonanz gehabt in einem Land, in dem die Frauen mit einiger Verspätung sich emanzipiert haben – das war Japan. Und in Japan gehen vor allem Frauen ins Theater. Und diese Botschaft 'Ich gehör nur mir', die ist ein Klassiker geworden dort“, sagt Michael Kunze.
Die subventionierten Theater haben das Thema Musical verschlafen
Michael Kunze hat mit seinen Stoffen auch den asiatischen Musical-Markt erobert. Seine Stücke sind internationale Phänomene an privaten Theatern, beliebt und rentabel. Der Umgang der Deutschen mit gewinnorientierter Unterhaltung sei aber nach wie vor so eine Sache.
„Man hat vergessen, dass die privaten Unternehmungen in der Kunst immer weitergeführt haben. Denken Sie dran, dass es keinen Bert Brecht gäbe ohne privates Theater, die Weimarer Zeit mit u. a. Max Reinhardt – das waren ja alles Privatbühnen“, so Kunze.
Michael Kunzes Weg als Musical-Librettist
Michael Kunze treibt den Musical-Boom in Deutschland und Österreich in den 1980er und -90er Jahren voran. Für die deutschsprachige Erstaufführung von „Evita“, im Theater an der Wien, hat er das Libretto übersetzt. Das war sein erster Schritt im Musical-Geschäft, und ein guter Grund, die Arbeit als Hitproduzent ruhen zu lassen.
Michael Kunze passt andere West-End- und Broadway-Hits für das deutschsprachige Publikum an: „Cats“, „Das Phantom der Oper“, „A Chorus Line“. Dann, Anfang der 90er Jahre, beginnt er, an eigenen Stoffen zu arbeiten.
Gelernt von Stephen Sondheim, Texter von West Side Story, Sweeny Todd und andere
Und dieser Stephen Sondheim, preisgekrönter Musicalkomponist, hat bewiesen, dass sich Kunst und Kommerz nicht ausschließen müssen – Michael Kunze hat er auch das hier geraten:
„Surprise, surprise, surprise, sagte er. Du musst immer denken, dass das Publikum überrascht werden will. Und zweitens: Du musst wissen, dass Lieder wie kleine Dramen auf der Bühne geschrieben werden müssen. Und – das vor allem – du musst einfach sein: Die Leute, die einen Liedtext hören, müssen sofort verstehen, worum es geht“, berichtet Kunze.
„Beethoven’s Secret“ mit dem Komponisten Sylvester Levay
Das jüngste Projekt, das Michael Kunze mit dem Komponisten Sylvester Levay verwirklicht hat, ist ein Stoff, der wie „Elisabeth“ oder „Mozart!“ nach Wien oder zumindest in den deutschsprachigen Raum gepasst hätte.
Denn haben wollte „Beethoven’s Secret“ niemand so wirklich, ein Stück über Beethovens Beziehung zu Antonie Brentano – was wohl eher am Konzept, als am Inhalt gelegen haben mag. „Beethoven hat unzählige wunderschöne Melodien geschrieben, die singbar sind. Und wir lassen die singen von modernen Stimmen, von Musical-Sängern“, sagt Michael Kunze.
Beethoven massentauglich in Szene setzen
Aus Beethovens Biographie Kapital schlagen und ihn massentauglich in Szene setzen – davor schrecken die Kreativen an den Theatern hierzulande vermutlich doch zurück. Zurecht? Kunze ist da anderer Meinung:
„Beethoven’s Secret“, und das ist die kuriose Pointe, feierte in diesem Jahr in Seoul Weltpremiere, die Übernahme nach Tokyo ist fest geplant. – Ein Fast-Geburtstagsgeschenk für einen, der auch mit 80 Jahren einem Motto treu bleibt.
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Score Snacks – Die Musik deiner Lieblingsfilme Lalaland und Babylon - Jazz-WG in Hollywood
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Malte ist jetzt nicht so begeistert, obwohl er die großen MGM Filmmusicals der 50er Jahre, an denen sich die Musik von Lalaland orientiert, eigentlich mag. Und die Jazz-Originale, die hinter den Filmen stehen auch. Malte ist ziemlich beeindruckt wie Hurwitz sich von Originalen gekonnt inspieren lässt. In dieser Folge Score Snacks: Lalaland und Babylon - Jazz-WG in Hollywood
Film: Lalaland (2016)
Regie: Damien Chazelle
Musik: Justin Hurwitz
Film: Babylon – Rausch der Ekstase (2022)
Regie: Damien Chazelle
Musik: Justin Hurwitz
Produktion: Malte Hemmerich und Jakob Baumer
Sprecherin: Henriette Schreurs
Redaktion: Chris Eckardt