Die Auszeichnung ist mit 15.000 Euro dotiert und wird jährlich am 3. April, Huchels Geburtstag, in Staufen im Breisgau verliehen.
Der Preis erinnert an den Namensgeber Peter Huchel (geboren am 3.4.1903 in Groß-Lichterfelde bei Berlin – gestorben am 30.4.1981 in Staufen im Breisgau), den bedeutenden Lyriker und Chefredakteur von "Sinn und Form". Seinem Anspruch und seiner Unbestechlichkeit fühlen sich Preisgebende und die aus sieben unabhängigen Literaturkritiker:innen, -wissenschaftler:innen und Autor:innen bestehende Jury verpflichtet.
Die Preisurkunde trägt Verse von Peter Huchel:
Die Satzung des Peter-Huchel-Preises
Egbert-Hans Müller
KEINE GUTE ZEIT FÜR LYRIK
Egbert-Hans Müller
KEINE GUTE ZEIT FÜR LYRIK
Preise sind weder so zahlreich, noch sind sie so hoch dotiert, daß ein Autor davon leben könnte – und sei er Lyriker. Das ist zunächst nichts als eine Feststellung. Also keine gute Zeit für Lyrik? fragte 1974 in einem Interview Karl Corino; Peter Huchel antwortete: Nein, keine gute Zeit für Lyrik. Aber ich möchte Sie fragen, wann gab es denn je eine gute Zeit für Lyrik? Ich meine, der Lyriker lebte immer am Rande der Gesellschaft.
Aus der Antwort Peter Huchels für die Eingangsfeststellung den Schluß zu ziehen, es müsse so sein, daß Lyriker von Preisen leben könnten, wäre falsch. Hans Mayer hat in seinen Erinnerungen an Peter Huchel vom Phänotyp des Lyrikers gesprochen, von demjenigen, der gezeichnet wurde durch den Ausdruckszwang des Lyrikers und allein des Lyrikers, und davon, daß der sich entscheiden müsse, ob er das Leben eines Parasiten führen will oder ein Doppelleben. Lyriker zu sein, ist demnach nicht irgendwelche Autorschaft, es ist ein Zustand.
Aber zurück zu Peter Huchels Feststellung: Keine gute Zeit für Lyrik – aber wann gab es denn die? Der Lyriker lebte immer am Rande der Gesellschaft. Ohne gerade an diese Sätze gedacht zu haben: das war für Südwestfunk und Land Baden-Württemberg das Motiv, den Preis zu stiften. Das Land ist dabei einer Initiative des Südwestfunks gefolgt.
Aber wovon leben sie denn, die Autoren – von denen die Lyriker, auch die vom Ausdruckszwang des Lyrikers und allein des Lyrikers gezeichneten ja nur eine Teilgruppe sind – wenn nicht von Preisen oder wenn sie nicht, siehe die Feststellung Hans Mayers, ein Doppelleben führen?
Letzten Endes soll der Autor davon leben können, wovon jeder andere auch leben können sollte: von seiner Arbeit, das heißt, bei einem Autor von den Tantiemen aus seinem Werk. Der dänische Literaturwissenschaftler Georg Brandes, Bahnbrecher in seinem Lande und wohl auch darüber hinaus für die naturalistische Dichtung, vergleicht 1872 in seiner berühmten Vorlesung über die Emigrantenliteratur ein literarisches Werk mit dem lebenden Organismus: Wie dieser bedürfe es einer Kombination ebenso vieler Umstände, damit es nicht gleich nach der Geburt zu Grunde gehe. Und nachdem Brandes alle diese Zufälligkeiten für den Erfolg aufgezählt hat, bis dahin, daß das Werk nicht an etwas Bekanntes erinnern darf, aber sich doch bereits Bekanntem anschließen müsse und einem Weg folgen, der schon gebahnt sei, schließt er: Es muß endlich auch die richtige Beleuchtung erfahren. Ein Preis ist Beleuchtung. Auszeichnung mit einem Preis ist aber noch mehr, dem Ausgezeichneten zu danken. Nicht zufällig trägt der Preis den Namen Peter Huchels. Die Verleihung des Preises auf seinen Namen ist ein Dank an ihn.
Egbert-Hans Müller, Ministerialrat und Vertreter des Landes Baden-Württemberg in der Jury, bei der Übergabe des Peter-Huchel-Preises am 3.4.1985
Wolfgang Heidenreich
DIE GEGENSTIMME DER POESIE
Wolfgang Heidenreich
DIE GEGENSTIMME DER POESIE
Der Peter-Huchel-Preis ist zu einer Institution geworden, weil er auffordert, mit eigenen Leseerfahrungen an dem Gespräch über Gedichte teilzunehmen. Tatsächlich ging der erste Impuls zur Stiftung und Ausgestaltung dieses dem gesamten deutschsprachigen Raum gewidmeten Lyrik-Preises 1983 von begeisterten Lyrik-Lesern aus, die ein Gespräch über Gedichte führten und sich von Peter Huchels Zeile inspirieren ließen, solche „Gespräche wie Bäume“ zu pflanzen. Der Funke transformierte sich nun in kühlere Gründerenergien, brachte den Bauplan, die kulturpolitische Konzeption des Preises voran und die Stiftungs-Kooperation zwischen dem Südwestfunk und dem Land Baden-Württemberg zustande.
Mit den konkreten Plänen reifte von Anfang an auch der Wunsch, den Auftrag und den Anspruch dieses Preises mit dem Gedenken an den 1981 in Staufen i.B. verstorbenen Peter Huchel zu verbinden. Die Anteilnahme an seinem Lebensschicksal, die Bewunderung seines Werks hatten sich durch professionelle und persönliche Verbindungen konkretisiert. In Staufen, der „Notherberge für seine letzten Jahre“, hatte er nach 1972 für den Südwestfunk seinen gedächtnisbitteren, autobiographischen Essay über den Jüdischen Friedhof im benachbarten Sulzburg geschrieben, sich dem Exerzitium eines umfangreichen Lebensberichts aber verweigert. Die rastlose Fron seiner Lesereisen hatte er sarkastisch mißachtet, aber der alte Berliner Rundfunkmann hatte bei den Radioaufnahmen seiner Gedichte im Freiburger SWF-Studio die vertraute Studioatmosphäre und das Gespräch mit den jüngeren Rundfunkmitarbeitern geschätzt. Während er mit märkisch näselndem Singsang seine sich immer karger ins Schweigen hinüberdrehenden Verse aufs Band sprach, war es ihm sogar selbstironisch gelungen, seinen heftigen Zigarettenverzehr auf die schnüffelnde Präsenz der Rauchmelder über den Mikrofonen einzustellen.
Las Peter Huchel, entfiel die Frage, ob und wo er und seine Dichtkunst aus- oder eingebürgert seien. Seine Wortklänge, seine Bilder, der „große Hof seines Gedächtnisses“ schufen (fernab der Reichweite jedweder Paßbehörden) den Raum einer eigenen Souveränität mit einem eigenem Wohn- und Transitrecht seiner Sprache. In privaten Gesprächen machte er aus seinen Verletzungen und Verzweiflungen („..den alten Jammer/ bis zur Vernichtung der Sinne zu sehen“) keinen Hehl, sah sich und die Poesie an den Rand gedrängt, sagte: „Der Lyriker lebte immer am Rande der Gesellschaft“. Aber schrieb und sprach er Verse, schlug er seinen Kreis um eine eigene Mitte. Ihn „im Westen“ des zerschnittenen Landes mit der Geste „nun ist er unser“ gegen „den Osten“ anklagend oder auftrumpfend instrumentieren zu wollen, wäre dem Unbehausten, dem das Alter zum Exil geriet, peinlich zu nahe getreten. Als Monica Huchel bald nach seinem Tode der Benennung des Peter-Huchel-Preises zustimmte, mag dies den Agenten des Mauerbaus und der Entmündigung scharf in Ohr und Nase gefahren sein; aber seinen Namen als politisches Plakat im Ost-West-Konflikt in Dienst zu nehmen, lag den Preisstiftern und Juroren fern. Handfesteres in Sachen Poesie lag näher und am Herzen: In Huchels Namen der Marginalisierung, Versimpelung und Verjuxung der Lyrik alljährlich eine im Durchspielen und Bearbeiten von Welt- und Sprachstoff beispielhafte, nonkonformistisch eigene Stimme entgegenzuhalten. Sie zu ermutigen, etwas für ihr Honorarkonto zu tun. Poesiedienliche Arbeit zu leisten z.B. gegen den Schwund der Lyrik-Titel und –Auflagen; gegen die Verarmung der Lyrikkompetenz in der Literaturkritik. Mit welchem Lesevermögen, Finderglück, Entscheidungswitz die Juroren in 20 Jahren zu Werke gingen, mag der Leser widersprechend, zustimmend nachvollziehen.
Hört und liest man sich hinein in die dichterischen Idiome dieses durch die Chronologie von zwei Jahrzehnten komponierten Ensembles, wird man Stimmenvielfalt, Pluralität der Sprech- und Schreibweisen erkennen können. Offenkundig hat die Jury in ihrer wechselnden Besetzung einen werkorientierten, offenen Lyrikdiskurs geführt; hat sich nicht als Bauverein zur Errichtung eines Kanons, zur Aufsockelung bevorzugter Stilrichtungen oder gar zur Bebauung des Architekturparks einer post- oder antimodernen Nationalliteratur verstanden.
So liegen die Werkplätze der 20 Preisträgerinnen und Preisträger oftmals kaum mehr in Rufweite voneinander entfernt, und doch lassen sich Korrespondenzen, Funkverkehr und Materialaustausch zwischen ihnen auffangen. Man mag die Unübersichtlichkeit dieser Landschaft der poetischen Herstellungsweisen registrieren, mag feststellen, dass die Lyrik nur noch weitab von den zentralen Plätzen der kulturellen Öffentlichkeit als „Subsubsystem des Subsystems Literatur“ (Sibylle Cramer) verortet werden könne, eine „grandiose Beiläufigkeit“ (Kurt Drawert) einer bald schon postliteraren Gesellschaft – arbeitet ein Poet an seinem Text, liest ein Leser Lyrik, haben beide ihren Anteil am Fortbestehen einer robusten, mutationsprächtigen Gattung. Allemal kommen die humane Würde und die zivilisationsresistenten Wunder der Poesie von weiterher, als sich die Schulweisheit der Marktschreier auf dem globalen Dorfplatz träumen läßt.
Ein stimmig verliehener Preis entdeckt und bewirkt auf diesem weiten Feld keine Wunder, konnte und kann aber als Sinnesorgang zur Wahrnehmung und Verstärkung von Stimmen überlebensnützlich sein. Wie sagte doch eine vermeintliche Berühmtheit auf die Nachricht, dass sie den Peter-Huchel-Preis bekomme, erfreut und sachlich ins Telefon: „Davon kann ich jetzt ein ganzes Jahr lang leben.“
Leben müssen für Gedichte, leben können von Gedichten? Dazu eine Leseempfehlung: Man wird in den Biographien dieses Gruppenbilds mit Huchel entdecken, dass drei Viertel der Lebensläufe durch heißen und kalten Krieg, politische Umstürze, Grenzüberschreitungen geprägt, dass auch die übrigen, jüngeren, von den Nachbeben und vom Stimmengewirr der Historie umgetrieben sind. Der Lebenshintergrund der in diesem Buch vereinigten Stimmen ist also nicht die Abgeschiedenheit im Fluchtquartier, sondern erschütterte Zeitgenossenschaft, von Verwerfungen durchzogenes, zur Zukunft hin hellhörig offenes Gelände.
Sölden, am 28.2.2003
Wolfgang Heidenreich