Literaturnobelpreis 2020

Louise Glück erhält den wichtigsten Preis für Literatur 2020

Stand

Die amerikanische Lyrikerin Louise Glück erhält den Nobelpreis für Literatur "für ihre unverwechselbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit das allgemein Gültige der individuellen Existenz herausarbeitet." (Begründung der Jury)

"Eine echte Entdeckung" - Gespräch mit Paul Ingendaay

In ihren komplex strukturierten Gedichten beschäftigt sie immer wieder die Auseinandersetzung des Menschen mit den Unwägbarkeiten der Natur.

Louise Glück ist seit 2004 Professorin für Englisch an der Yale Universität. Zuvor stand sie als Kanzlerin der Academy of American Poets vor.

Der Preis ist mit neun Millionen schwedischen Kronen (rund 860.000 Euro) dotiert und wird am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel, durch den schwedischen König verliehen.

Gespräch über Perspektiven für Lyrik von Frauen – unter anderem mit Louise Glücks Übersetzerin Ulrike Draesner

„Ein leiser Donnerschlag: die amerikanische Dichterin Louise Glück verbindet nicht nur im eigenen Namen Zurückhaltung und Hoffnung, sondern verkörpert eine Gegenstimme zu dem Lärm und dem Brüllen, das wir in den letzten Monaten aus den USA gehört haben.“

Kommentar von Frank Hertweck zur Bekanntgabe des Literaturnobelpreises

Früher, da gab es manchmal Hinweise im Vorfeld einer Nobelpreisverleihung Literatur, es gab ein berühmtes britisches Wettbüro, dessen Zuckungen in den Tagen vor der Preisvergabe ein deutlich Indiz war für den mögliche Preisträger, früher konnte man in den Vortagen eine Gruppe von Autorinnen sichten und die Chancen standen nicht schlecht, der Preisträger ist dabei. Klingt nach einer schönen Zeit. War sie aber nicht: dahinter steckten Machenschaften, Verfilzungen, Verstricklungen der übelsten Sorte. Die sind weitgehend aufgeklärt. Und das sind die Zeiten, die man mit dieser Preisverleihung 2020 endgültig hinter sich lassen will.

Und das ist der Akademie wirklich gelungen. Gleichsam mit einem leisen Donnerschlag. Sie hat eine nahezu unbekannte Lyrikerin zur Preisträgerin gemacht, eine leise Stimme aus Amerika, nachdem man von dort in den letzten Monaten nur noch Lärm gehört hat. Louise Glück.

Aber so kann es einem gehen bei der Vergabe des Literaturnobelpreises. Man hat reichlich Bücher gelesen. Natürlich auch aus dem englischsprachigen Raum. Man hat sich für englischsprachige Lyrik interessiert.

Die Favoritin für dieses Jahr, die kanadische Dichterin Anne Carson hätte man zum Beispiel locker vorstellen können und die ist ja nun auch keine allzu bekannte Autorin oder der mythenumrankte Thomas Pynchon mit seinen gewaltigen Romangebirgen, auch der, kein Problem.

Aber jetzt, Louise Glück? Das muß man auch mal zugeben, kenn ich nicht, habe noch nie etwas von ihr gelesen. Ihr Name klingt aber poetisch, das deutsche Glück mit Umlaut, nicht amerikanisiert.

Louise Glück
Louise Glück, gezeichnet für die Bekanntgabe des Nobelpreises für Literatur

Was man von ihr wissen kann? Sie wurde 1943 in New York geboren und lebt heute in Cambridge. Nach ihrem ersten Gedichtband wurde sie von einer Schreibblockade geplagt, sie hat an amerikanischen Universitäten gelehrt, sie hat sehr wichtige Positionen im amerikanischen Literaturbetrieb eingenommen, 1999 wurde sie zur Kanzlerin der Academy of american poets gewählt, 2003 zur Poeta Laureate der Library of Concress ernannt. Und auch die Liste ihrer Auszeichnungen ist imposant, für ihren Gedichtband Wild Iris, erhielt sie den Pulitzer Preis und 2014 den National Book Award für Lyrik für einen weitere Gedichtband. 12 Gedichtbände hat sie geschrieben. Sie ist also im eminenten Sinne eine Dichterin.

Auf Deutsch wurden zwei Lyrikbände veröffentlicht und das ist auch schon eine Weile her. Zuerst „Averno“, dann „Wilde Iris“, beide von der Schriftstellerin Ulrike Draesner übersetzt. Und beide verbindet ein Thema: der Mensch in der Natur. Einmal im mythologischen Gewand, da wird der Mythos um Persephone, die uns die Jahreszeiten bringt, neu erzählt, das andere Mal spricht die Natur selbst, aber ohne idyllische Tunke im Zustand der Beschädigung.

Aber jetzt gilt es Lesen.

So verwandelt man sich also am Namen der diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin von einem Literaturexperten in einen neugierigen Leser, und das ist nicht das wenigste, was so ein Preis erreichen kann.

Doppelauszeichnung 2019: Die Literaturnobelpreise 2018 und 2019 gingen an Olga Tokarczuk und Peter Handke

Der österreichische Schriftsteller Peter Handke erhielt den Literaturnobelpreis 2019. Die Auszeichnung für 2018 ging an die polnische Autorin Olga Tokarczuk. Beide Ernennungen gab die Schwedische Akademie am 1. Oktober um 13 Uhr bekannt, nachdem die Preisvergabe 2018 wegen eines Skandals um Missbrauchs- und Korruptionsvorwürfen gegen die Schwedische Akademie verschoben wurde.

Die Literaturnobelpreisträger 2019 Olga Tokarczuk und Peter Handke im Porträt

Kommentar von Frank Hertweck zur Preisverleihung 2018/2019

So dachte man sich das: die „Schwedische Akademie“ ist unter Druck, sie will ihre Skandale vergessen machen, also wird sie einigermaßen korrekt verteilen, sie wird einen Mann wählen, eine Frau, das hat sie getan. Aber nun kams doch nicht ganz so korrekt wie erwartet, klar, die polnische Schriftstellerin Olga Torkaczuk, sie galt bei den Buchmachern als einer der Favoriten für den diesjährigen Literaturnobeldoppelpreis, aber die Wahl von Peter Handke streut schon etwas Gift ins Wohlgefühl einer behaglichen Preisverleihung. Schließlich galt sein Eintreten für Serbien in den Jugoslawienkriegen und danach mehr als inkorrekt. Seitdem ist er zumindest politisch umstritten.

Denis Scheck: Freudentag für die Literatur

"Das war ein Freudentag für die Literatur! Die Literaturnobelpreise sind eine tolle Auszeichnung für Peter Handke und Olga Tokarczuk", meint SWR Literaturkritiker Denis Scheck in Kunscht!:

Skandal in der Schwedischen Akademie: Die Vorgeschichte

Neustart unter neuer Leitung

Missbrauchs- und Korruptionsvorwürfe haben die Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt, 2018 in eine schwere Krise gestürzt. Mats Malm als neuer Leiter der Schwedischen Akademie soll nun die Wogen glätten.

Mats Malm schweigt zum Missbrauchsskandal um Jean-Claude Arnault, dem Ehemann des Ex-Akademiemitgliedes Katarina Frostenson, der mehrfach Frauen, selbst Thronfolgerin Viktoria, sexuell belästigt hatte und zusätzlich geheime Namen von Literaturnobelpreisträgern verraten hatte.

Arnault sitzt inzwischen wegen Vergewaltigungen im Gefängnis und seine Frau ist nicht mehr Teil der Akademie.

Krise überwunden?

Danach sieht es aus. Zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten sind alle 18 „Stühle“ der Akademie wieder besetzt, sechs davon von Frauen. Das, nachdem es noch im letzten Jahr Zweifel gab, ob sich überhaupt Leute finden würden, die ins Skandalhaus einziehen möchten.

Neu sollen bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten für den Preis neben den Mitgliedern der Akademie nun auch fünf externe Gutachter mitwirken. Unklar bleibt hingegen, wann das Recht auf lebenslange Mitgliedschaft in der Akademie geändert wird.

Mit dem Sinologen Göran Malmqvist (94) und dem Sprachwissenschaftler Sture Allén (90) sitzen weiterhin zwei Mitglieder in der Akademie, die im Skandal um Frostenson und Arnault unrühmliche Rollen gespielt haben.

Sexuelle Belästigung und Steuerhinterziehung

Ausgangspunkt des Skandals war Jean Claude Arnault, der Ehemann von Katarina Frostensson, bis 2018 Mitglied der Akademie. Arnault soll 18 Frauen aus dem Umfeld der Akademie sexuell belästigt haben, sieben Mal soll er geheime Namen von künftigen Trägern des Literaturnobelpreises ausgeplaudert und für einen von ihm betriebenen Kulturklub Gelder der Akademie angenommen haben.

Der Versuch, Frostenson per Abstimmung aus der Akademie auszuschließen, scheiterte. Daraufhin hatten drei Mitglieder ihre Mitarbeit für beendet erklärt, zwei weitere hatten sich zuvor schon aus anderen Gründen zurückgezogen.

Beiträge zum Literaturnobelpreis 2018/2019

Platz 1 der SWR Bestenliste im Januar 2018 Peter Handke: Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere

Der Erzähler wird von einer Biene gestochen. Damit beginnt alles. Wie immer gemächlich wandelt der Sprachwandler Peter Handke durch die Welt: mit der Obstdiebin in die Picardie. 

Diskussion Preis-wert oder billig? Der Sumpf der Ehrungen und Auszeichnungen (2018)

Es diskutieren:

Prof. Dr. Jochen Hörisch - Germanist, Medientheoretiker, Universität Mannheim, Dr. Paul Ingendaay - Schriftsteller, Feuilletonist (FAZ), Berlin, Dr. Sigrid Löffler - Literaturkritikerin, Berlin

Gesprächsleitung: Burkhard Müller-Ullrich

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SWR