Überrascht war nicht nur die Autorin selbst
Die Autorin war nach Bekanntgabe der Entscheidung so überrascht, dass sie sich mehrfach bedankte und ansonsten nichts mehr sagen konnte. Diese Entscheidung ist tatsächlich eine Überraschung, waren doch mit den neuen Büchern von Judith Hermann, Helga Schubert und Christian Kracht hochgelobte und vieldiskutierte Werke nominiert.
Iris Hanika war im Grunde eine Außenseiterin, aber die Jury, die im Vorfeld gescholten wurde, weil sie keinen einzigen identitätspolitischen Debatten-Roman in die engere Wahl genommen hat, wollte offensichtlich abermals für Erstaunen sorgen. Das ist ihr gelungen.
Hanika erzählt den Mythos von Echo und Narziss neu
Um Iris Hanikas Roman zu verstehen, muss man sich ein wenig mit griechischer Mythologie beschäftigen. Die Bergnymphe Echo erhält – so die später von Ovid niedergeschriebene Legende – vom Göttervater Zeus den Auftrag, die Gattin Hera mit Geschichten zu unterhalten und abzulenken, damit der wiederum Zeit für amouröse Abenteuer hatte.
Als nun Hera dieses Komplott entdeckt, beraubt sie Echo der Sprache, was dazu führt, dass Echo dem schönen Jüngling Narziss nicht ihre Liebe gestehen kann. Denn Echo kann nur die letzten Worte des Geliebten wiederholen. Wobei sich der Angebetete sowieso nur für sich selbst interessiert. Er will lieber sterben, als sich zu verlieben. Er ist der sprichwörtlich gewordene Narzisst.
Iris Hanika versucht diesen Mythos noch einmal neu zu erzählen. „Echos Kammern“ ist ein verspielter und zuweilen auch etwas mühsam artifizieller Großstadt- und Liebesroman. Er spielt in New York und in Berlin gleichermaßen.
Aus Echo wird Sophonisbe und aus Narziss der schöne Josh
Hanikas Protagonistin ist eine deutsche Schriftstellerin mittleren Alters und trägt den eigenwilligen Namen Sophonisbe, so wie alle Figuren in dem Roman seltsame Namen tragen. Die Heldin schreibt ihre New York-Geschichten in einem seltsamen deutsch-amerikanischen Kauderwelsch, das so künstlich wie auch komisch ist. Auf einer Party der Sängerin Beyoncé lernt sie den Doktoranden Josh kennen, der über die Geschichte der Ukraine promoviert und ansonsten eben an den antiken Narziss erinnert.
Der Liebeswahn, aber auch die Reiselust führt die Erzählerin Sophonisbe irgendwann ins gentrifizierte Berlin. Und dort verfällt auch ihre Vermieterin Roxana dem mittlerweile nach Berlin gereisten hübschen Amerikaner.
Ein Roman gegen den multimedialen Schönheitswahn und über die Einsamkeit
Es wird viel über Literatur nachgedacht in dem Roman, über die soziale Funktion von Sprache, aber auch von Schönheit und ihrer Inszenierung in sozialen bzw. asozialen Bildmedien. Und über das Leben der Menschen, die sich ständig vor den Spiegel stellen kaum noch lebendig erscheinen. „Schau dir die Zombies an, die draußen herumlaufen“ sagt Roxana zu ihrer Freundin. „Spiegel sind die Geißel der Menschheit“, heißt es an einer anderen Stelle.
Es ist ein Roman gegen den multimedialen Schönheitswahn und ein Text über die Einsamkeit, durchaus passend zu einer Zeit, in der wir uns ständig vor Bildschirmen präsentieren. Die Freundschaft wird in „Echos Kammern“ gefeiert und die Liebe verdammt. Alles wird in dieser Prosa zum Echo von etwas anderem.
Ein Lesevergnügen sagen die einen, etwas gewollt anstrengend die anderen. Ich gehöre zur zweiten Gruppe.