Buch der Woche vom 6.5.2018

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings

Stand
Autor/in
Pascal Fischer

Eine Frau stürzt sich auf der Flucht vor Schergen des Hightech-Konzerns „Nordvisk“ in eine Schlucht. Der kalifornische Sheriff Luther Opoku muss im Silicon Valley ermitteln. Frank Schätzings neuer Roman ist Heldenreise, Science Fiction und Breitbild-Movie in einem.

Bekannt für seine düsteren Zukunftsvisionen setzt Schätzing mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ noch einen drauf.

Der führende deutschen Science Fiction Autor legt nach

Frank Schätzing ist der Blockbuster-Tycoon der realistischen deutschen Science Fiction. „Der Schwarm“" war zwar 2004 schon sein fünfter Roman, aber erst damit gelang ihm der Durchbruch, zugleich dann ein sagenhafter: mit Millionenauflagen und Übersetzungen in 27 Sprachen. Dort, wie auch in „Limit“ spielte Schätzing mit Entwicklungen und Technologien, die in der nahen Zukunft Realität werden könnten.

Hier Mondfahrstühle und Rohstoffausbeutung auf dem Erdtrabanten, dort die Entstehung von hyperintelligenten, organischen Netzwerken, die sich anschicken, die Menschheit vom Planeten zu tilgen. Gegenüber dem neuen Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ nun nehmen sich diese Vorgänger geradezu zaghaft monothematisch und bescheiden aus. Jetzt spielt Frank Schätzing mit Robotik, Genetik, künstlicher Intelligenz, den dunklen Seiten der Internetwirtschaft und, gehen wir in die Vollen, Paralleluniversen.

Ein thematisch vielseitig ausgerichteter Thriller mit klassischem Protagonisten

Frank Schätzings neuer Roman ist ein Mega-Movie, eine Heldenreise voller Mystery, Science-Fiction und Horror, wiewohl am Anfang ein klassischer Thriller:
Da ist der Held, der kalifornische Undersheriff Luther Opoku, natürlich mit familiären Problemen und mit persönlicher Wunde ausgestattet. Da ist ein mysteriöser Todesfall in einem Kaff: eine Frau, die sich offensichtlich in panischer Angst in eine Schlucht gestürzt hat.

Wie sich herausstellt, auf der Flucht vor Schergen des dunklen Hightech-Konzerns „Nordvisk“, der einen zwielichtigen Boss als Mega-Schatten hat. So wird Luthers normale, kleine Welt aufgemischt vom fortschrittstrunkenen, vordergründig hippen Nordvisk-Konzern, in dem Luther nun ermittelt.

Vom Thriller mit Mordfall dreht sich das Buch nun ins Genre „Silicon-Valley-Porträt“, das Schätzing in der Nachfolge von Dave Eggers ironisch angefärbt weiterschreibt. Bei Nordvisk gibt es viele bunte Fahrräder, Sneakers und Kapuzenshirts, Spiraltreppen und tropfenförmige Büros. Kein Meeting, das nicht die Probleme der Menschheit lösen möchte, vor allem mit künstlicher Intelligenz.

Ein Computer soll die Probleme der Menschheit lösen

Höhepunkt dieses Machbarkeitswahns ist ein Supercomputer, eine riesige künstliche Intelligenz von Nordvisk, benannt nach dem griechischen Kriegsgott: Ares. Ares soll die Lösung für alle Menschheitsprobleme errechnen. Aber auf dem Weg zur perfekten Welt wird die Maschine menschliche Opfer einkalkulieren – die tote Frau in der Schlucht ist da nur das läppische Präludium.

Zeitweilig treten Luthers Ermittlungen komplett in den Hintergrund und machen den inneren Monologen der knobelnden Maschine Platz. An ihr exerziert Schätzing die zentrale Frankensteinproblematik durch, und zwar auf Globalniveau.

Die ultimative narzisstische Kränkung

Als Doppelgänger der gesamten Menschheit ist Ares die ultimative narzisstische Kränkung für den Menschen: Was ist noch Kunst, wenn Ares wie van Gogh malt? Bleibt Ares Diener seiner Erbauer, oder lügt er und heckt längst verborgene Pläne aus? Selbst Ares‘ Schöpfer, dem hochbegabte Elmar, schwant Böses, als die Maschine Selbstbewusstsein zu entwickeln beginnt:

Ja: Was wenn nicht? Sollte gar der Mensch das Problem auf diesem Planeten sein…?! Eigentlich hätte diese Fragestellung für einen satten Wissenschaftsthriller mehr als gereicht. Aber Schätzing packt noch Genforschung und Robotik mit hinein: Es ist die Stärke und Schwäche des Romans zugleich, dass der Autor seine Einfälle auch ausnahmslos ausbuchstabiert.

Ein Feuerwerk des technologischen Irrsinns

Parallel zur Problematik der Künstlichen Intelligenz geht es auch noch um unmoralische Biowaffen. Nordvisk hat Roboterbienen, Bombardierkäfer und Infektions-Insekten entwickelt, vor allem aber: cloudgesteuerte Cyborg-Libellen. Was, wenn die in die Hände von Schurken fallen – oder sich Ares in die Steuerung einhackt?

Immer weitere Raketenstufen des technologischen Irrsinns zündet Schätzing. Es gibt auch noch Paralleluniversen mit Übergangspforten dazwischen, es gibt Reisende zwischen den Welten und allerlei Paradoxien. Erst gegen Ende wird Luther das volle Ausmaß dieser raumzeitlichen Verschwörung aufdecken.

Hier geht es mit Schätzing dann teilweise wirklich durch: ein US-Präsident Clooney. Raumfahrende Saurier... Holt man dazwischen mal kurz Atem, so erkennt man darin die Schwächen des Romans: Eben noch kapiert Ermittler Luther kaum, wie Quantenmechanik überhaupt funktioniert, ein paar Hundert Seiten weiter sitzt er wie selbstverständlich im Gleiter im Paralleluniversum.

Die Sprache ist karg, der Handlung Untertan, hier und da schlaumeiert der Autor:

Der Schauspieler Sascha Rotermund liest das zeitgleich zum Roman erschienene Hörbuch mal atemlos, mal nüchtern, ironisch und immer angemessen, egal, wie sehr sich die Handlung überschlägt. Sogar den spanischen Akzent einer Figur hält er minutenlang durch.  Man ist gespannt auf den nächsten Twist, selbst, wenn Luther am Ende in eine denkbar bizarre Welt gelangt und der mysteriöse Todesfall vom Anfang gefühlt Lichtjahre entfernt scheint.

Mit Ironie und rasanten Handlungsumschwüngen inszeniert

Auf interessante Weise transponiert Schätzing klassische existentialistische Fragen auf die Ebene der Science Fiction: Angesichts der Parallelwelten mit Doppelgängern und alternativen Handlungsverläufen fühlt sich Luther mehrmals fremd in der eigenen Welt. Was macht ihn einzigartig – sein Handeln? Seine Innenschau?

Die expliziten Referenzen, die Luther hier anbringt, verweisen allerdings weniger auf Sartre und Heidegger als vielmehr auf Hollywood-Drehbücher. Viele von Schätzings Figuren vergleichen ihre Abenteuer mit „Jurassic-Park“ oder John-Grisham-Verfilmungen. Gerade das letzte Drittel des Romans ist aber so irrwitzig, dass diese ironischen Gags schon wieder passen – selbst, wenn einmal mehr die Weltvernichtung durch Killer-Insekten-Schwärme droht.

Nicht immer ganz stimmig, übervoll, mehr auf Effekt als auf fundierte wissenschaftliche Theorien aus, ist das Buch am Ende voller Actionszenen, Cliffhanger, Handlungsumschwünge en masse, eben gute, vorangepeitschte Unterhaltung, welche die Risiken der künstlichen Intelligenz, ja, der Technik überhaupt und die menschliche Selbstüberschätzung thematisiert.

Stand
Autor/in
Pascal Fischer