Levin Westermann, Jahrgang 1980, wurde im Jahr 2020 für seine Lyrik mit dem Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg ausgezeichnet und gewann zwei Jahre später den Deutschen Preis für Nature Writing. Westermanns neues Buch ist ein Prosaband, ein Roman, und die Züge, die ihm den Titel geben, haben nichts mit dem notorisch verspäteten Verkehrsmittel zu tun.
Die Zugunruhe ist ein Fachbegriff aus der Ornithologie und beschreibt die Rastlosigkeit von Vögeln im Vorfeld ihrer Migration. Eine Sehnsucht nach Aufbruch, ein Instinkt, in die Ferne ziehen zu müssen. Und dieses Gefühl, an einem Ort zu sein, den es zu verlassen gilt, hat auch das Ich in diesem durch Fotografien ergänzten Text. Ein Erzähler, der durch die Landschaft streift und die kleinen und großen Zeichen von Versehrung wahrnimmt, seien sie historischer oder ökologischer Natur. Nachrichten von Kriegsausbrüchen, die Pandemie, die Klimakrise – all das sind die lauten Störgeräusche, die an dieses Bewusstsein heranbranden, während der Erzähler durch Wälder in der Schweiz und in Deutschland läuft und das betrachtet, was die Spezies Mensch in ihrer Fortschrittsraserei angerichtet hat.
Keine explizite Anklage, eher ein empathisches Einfühlen in die Geschöpfe, denn „es waren natürlich vor allem die Tiere, die im Wald lebten, die theoretisch ein Bleiberecht auf Lebenszeit haben sollten, welches praktisch jedoch seit Generationen missachtet wurde, von uns, vom Menschen, der konsequent die Verdinglichung des Lebens lebte, der alles zerstörte, was ihn störte im Wald.“ Eine Welt, die kurz vor dem Umkippen steht. Darin ein Ich, das gegen den Untergang anschreibt.