Im Dezember 2022 ist die englische Schriftstellerin und zweimalige Booker Prize-Gewinnerin Hilary Mantel im Alter von 70 Jahren gestorben. Mantel, die in der Industriestadt Glossop bei Manchester in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, wurde mit ihrer zwischen 2009 und 2020 erschienenen Trilogie über den Staatsmann Thomas Cromwell berühmt. Man könnte sagen, dass Mantel mit den drei Romanen „Wölfe“, „Falken“ und „Spiegel und Licht“ den historischen Roman auf den Stand der Gegenwart gebracht hat.
Zum ersten Todestag der Autorin ist nun dieser Band mit frühen Erzählungen erschienen, den Mantel im Original bereits vor 20 Jahren publiziert hatte. Es sind Geschichten, die im Milieu und in der Epoche von Mantels Kindheit angesiedelt sind; Erzählungen aus dem England der 1950er- und 1960er-Jahre. Sie spielen, wie die Autorin selbst es formuliert hat, an „von rauen Winden und derben Klatschmäulern geplagten“ Orten.
In ihrem kurzen Vorwort beschreibt Mantel die Kleinstadt, in der sie aufgewachsen ist, die rußgeschwärzten Textilfabriken; die Straßen, gesäumt von „schmalen, kalten Reihenhäusern“. Über die Leute aus dem nahen Manchester machte man sich in Mantels irischstämmiger Familie lustig, über deren Akzent. Die aus Manchester, so heißt es in einer der Geschichten, hätten unendlich lange Arme, weil sie über Generationen hinweg an Webstühlen hätten arbeiten müssen.
Ob sie durch die Übertragung ihres Lebens ins Fiktionale Rätsel gelöst habe, vermag Mantel selbst nicht zu sagen. Vielleicht, so schreibt sie, habe sie einfach auch nur einzelne Teile hin- und hergeschoben. Das Verschwinden ihres Vaters, das Mantel bereits in ihrer Autobiografie „Von Geist und Geistern“ zum Thema gemacht hatte, spukt auch immer wieder durch die Erzählungen, die zwischen Tristesse und Unheimlichkeit hin- und herpendeln.