Durch zweierlei machte Ursula Krechel in den vergangenen Wochen auf sich aufmerksam: Zum einen trat sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann Herbert Wiesner, aus dem PEN-Club aus und in den neu gegründeten PEN Berlin ein. Zum anderen, das ist weniger spektakulär, aber nicht minder wichtig, hat sie einen neuen, mehr als 400 Seiten starken Essayband veröffentlicht und damit ihren Ruf als ungemein vielseitige Schriftstellerin gefestigt.
Mit „Landgericht“ gewann Krechel im Jahr 2012 den Deutschen Buchpreis, doch wird sie als Lyrikerin ebenso wahrgenommen wie als Prosaistin.
Knapp die Hälfte der in diesem Band gesammelten Texte sind bereits über Jahrzehnte hinweg in anderen Publikationen erschienen; die übrigen waren bislang unveröffentlicht. Dass auch Krechels Reflexionen und Betrachtungen selbst wiederum literaturfähig sind, versteht sich von selbst. In ihnen verbinden sich geschärfte Wahrnehmung, Sprachkunst und ein großes Bewusstsein für Sinnlichkeit.
Dem Wünschelrutengänger Casanova spürt Krechel ebenso nach wie Fontane oder Freud. Sie erinnert sich an Begegnungen mit Schriftstellern wie Rolf Dieter Brinkmann. Sie schreibt erhellend über Literatur, Mutproben, Kinderbetten, Pflanzen und Politik – nicht eitel, sondern produktiv, mit überraschenden Verbindungen, Brückenschlägen und Gedankenvolten.
Kein Gegenstand, so schreibt Krechel, sei zu gering für einen Essay. Als Leser darf man diesen Satz ergänzen: Wenn es einer Autorin gelingt, ihre Gegenstände lebendig werden zu lassen und ihre Bedeutung ins Allgemeingültige zu überführen wie Ursula Krechel.