In Deutschland herrschte überwiegend Ratlosigkeit, als bekannt gegeben wurde, dass der 1948 in Sansibar geborene und in England lebende Abdulrazak Gurnah mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet werden würde. Man kannte den Autor hierzulande auch deshalb nicht, weil seine Werke in jüngster Vergangenheit kaum ins Deutsche übertragen worden sind.
„Das verlorene Paradies“ ist ein Roman aus dem Jahr 1994, und die ursprüngliche Übersetzung von Inge Leipold ist nun nachgedruckt worden. Das Buch erzählt von einem anfangs zwölfjährigen Jungen namens Yusuf, dessen Vater gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Ostafrika ein kleines Hotel auf dem Land führt und sich Geld geliehen hat, das er nun nicht zurückzahlen kann. Yusuf muss in die Stadt gehen, um die Schulden abzuarbeiten. Der Gläubiger ist ein reicher Araber, und Gurnah zeigt in seinem Roman auch die multiethnische und religiös vielfältige Struktur von Sansibar, das von arabischen Muslimen dominiert wird. Allerdings ist, ohne dass Yusuf es bemerkt, gerade ein Veränderungsprozess in Gang: Die europäischen Kolonialherren reißen mit aller Gewalt die Macht an sich und versuchen nicht nur dieses Land, sondern einen ganzen Kontinent zu unterdrücken.
Dass die Romangeschichte nicht als schwerblütiges Drama ankommt, liegt zum einen an Gurnahs mildem, ironischen, oft auch heiteren Tonfall, zum anderen an der Menschenfreundlichkeit seines jungen Protagonisten, der die Welt buchstäblich mit offenen Augen betrachtet. Die Unerbittlichkeit der deutschen Kolonialisten, die mit Glückseligkeit in den Augen einen Galgen errichten, geht darin nicht unter. Aber auch die Grausamkeit ist bei Gurnah eingebunden in ein übergeordnetes Konzept von Vertrauen in den Humanismus.