Zweifellos eines der Bücher dieses Frühjahrs: Der erste Roman der Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal, die zuvor bereits mit ihrem Essay über Vergewaltigung für Aufmerksamkeit gesorgt hat, trifft ins Zentrum der derzeit aufgeheizten und nicht selten auch unerquicklichen Debattenlage.
Die Ich-Erzählerin des Romans heißt Nivedita Anand, Tochter einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters, und lebt in Düsseldorf. Als Bloggerin hat sie unter dem zeitgeistigen Namen „Mixed-Race-Wonder-Woman“ eine große Followerschaft um sich gesammelt, die ihre Beiträge zu den Themen Race und Gender begeistert liest.
Niveditas Lehrmeisterin wiederum ist alsbald in einen Skandal verwickelt: Saraswiti, Professorin für Postcolonial Studies an der Universität Düsseldorf, eine Person of Color, als die sie sich selbst bezeichnet, ist aufgeflogen: In Wahrheit heißt sie Vera Thielmann und ist so weiß wie sonst kaum jemand. Schon sind wir im nächsten Diskurs, dem der kulturellen Aneignung.
Mithu M. Sanyal konterkariert das klischeehaft eingefahrene Debattendenken, indem sie ihre Figuren Fragen stellen lässt: Wenn doch das Geschlecht nicht festgelegt ist, also fluide – kann das dann nicht auch für die eigene Herkunft gelten, da doch Kategorien wie Geschlecht und Rasse ohnehin bereits als reine Konstrukte entlarvt sind? Welche Formen von Ausgrenzung hat die postkoloniale Forschung möglicherweise gar nicht im Blick? Und gibt es so etwas wie bessere und schlechtere Opfer? All das wirbelt in Sanyals Roman durcheinander. Das Ergebnis ist ein kluges Gegenwartsstück.