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Paul Celan: „etwas ganz und gar Persönliches“

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Paul Celans Werk bleibt, trotz oder wegen der eifrigen germanistischen Erforschungsbemühungen, eines der großen dunklen Geheimnisse der Literatur des 20. Jahrhunderts.

Celan war mit seinem hohen Ton und seinem pathetischen Vortrag immer wieder Missverständnissen ausgesetzt, allen voran die geschmacklose Entgleisung Hans Werner Richters, des Gründers der Gruppe 47, der Celan nach einer Lesung attestierte, er habe seine Gedichte im Tonfall von Joseph Goebbels vorgelesen. Ausgerechnet.

Nun hat der Suhrkamp Verlag in der gewohnt sorgfältigen und kenntnisreichen Editionspraxis den Briefwechsel des 1970 durch eigene Hand gestorbenen Dichters in einem Band zusammengefasst.

1300 Seiten, 691 Briefe an 252 Adressaten, davon 330 Erstdrucke, an Kollegen, Übersetzer, Geliebte, Freunde, Familie und Verlagsmitarbeiter. Gegenüber Klaus Demus, den Celan als seinen einzigen Freund bezeichnete, äußert sich Celan im Mai 1952 auch über Richters Bemerkung.

Das Briefprojekt ist ambitioniert: Herausgeberin Barbara Wiedmann schreibt in ihrem Nachwort, dass es um nicht weniger als um die Verknüpfung von äußerer und innerer Biografie gehen könne. Zugleich aber sind die Briefe besonders aufgrund ihrer Vielzahl an Adressaten auch von einem hohen alltagsgeschichtlichen Wert.

Der Band ermöglicht, neue Linien zu ziehen, Korrespondenz in Beziehung zueinander zu setzen und aus diesem Nebeneinander ein schärferes Bild der Figur Celan zu zeichnen. Der letzte Brief geht an die Schriftstellerin Ilana Shmueli, acht Tage vor Celans Tod: „Sei nicht unruhig, wenn jetzt eine Zeitlang keine Post von mir kommt: ab morgen ist ein Poststreik angekündigt.“

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Autor/in
SWR