Claus Schenk Graf von Stauffenberg an Stefan Georges Sterbebett
Wer über Stauffenberg schreibt, kann von Stefan George nicht schweigen. Es fragt sich nur: Wie viel George steckte in Stauffenberg? Wie Thomas Karlauf das Verhältnis sieht, verrät er im Prolog: Indem er 20 Seiten lang die Szene am Tessiner Sterbebett Georges schildert, an das Stauffenberg und sein Bruder Berthold im Dezember 1933 eilen. Dann folgt eine forsche Einführung, in der Karlauf erklärt:
"Ich konzentriere mich auf die wenigen authentischen Dokumente und versuche im Übrigen, die Haltung Stauffenbergs über Analogien und Indizienketten zu erschließen. Stauffenberg dürfte ähnlich gedacht haben", heißt es dann im Text oder auch: "Vermutlich wäre Stauffenberg der gleichen Auffassung gewesen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ein solches Verfahren aus Sicht des Historikers problematisch ist."
Zu solchen Sätzen gehört gesundes Selbstbewusstsein, fegen sie doch Jahrzehnte historischer Forschung zum militärischen Widerstand gegen Hitler beiseite. Das ist aber nur in einer Hinsicht gerechtfertigt: Es sind tatsächlich zu viele Elogen über Beteiligte und Mitwisser des 20. Juli geschrieben worden. Dabei wurde das Menschliche, auch das allzu Menschliche gerne wegpoliert.
Das kann man dieser Biografie nicht vorwerfen. Karlauf kennt die Sekundärliteratur. Er ist in der Frage, was Stauffenberg und andere zu Widerständlern machte, sehr nahe bei der Ansicht jüngerer Militärhistoriker, die die Offiziers-Widerständler nicht zur weltanschaulichen Opposition gegen Hitler rechnen.
"Stauffenberg war weit davon entfernt, die drohende militärische Katastrophe als eine gerechte Strafe für die deutsche Barbarei anzusehen. Aber auch bei ihm setzte im Frühjahr 1942 ein Bewusstwerdungsprozess ein, der ihn über die soldatische Verantwortung und die Bedingungen des Krieges nachdenken ließ."
Motiv von Stauffenbergs Sinneswandel bleibt unklar
Als Leser hätte man aber gerne gewusst, wieso der charismatische Stauffenberg ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt vom Glauben an den Endsieg abfiel. Da aber ist Karlauf leider ziemlich blank. Militärgeschichte und -soziologie sind ihm nämlich fremd. Er sieht alles durch die Brille der George-Anbetung – und geht hier weiter als Stauffenberg-Biografien bisher. Stefan George ein "Dichter der Tat", Stauffenberg sein Adept – das führt zu der These, dass es dem Attentäter nicht um den Systemwechsel ging:
"Das Ethos der Tat lässt sich weder mit politischen noch mit moralischen Kriterien angemessen beschreiben. Es kann ebenso zur Charakterisierung von Tyrannenmord wie zur Begründung von Anarchie hilfreich sein. Das Ethos der Tat sucht weder Ruhm noch Ehre, sein einziger Zweck ist die Tat um ihrer selbst willen."
Zu den berühmten letzten Worten Stauffenbergs – „Es lebe unser heiliges Deutschland!“ – die seit Jahrzehnten in keinem Film zum 20. Juli 1944 fehlen, hält die neue Biografie auch eine eigene These parat. Sie sägt an geschichtspolitischer Symbolik, die dem Umsturz gerne beigemessen wird.
"Eines waren sie mit Sicherheit nicht: Chiffre für ein politisches Programm. Welches Deutschland auch immer Stauffenberg vor Augen stand: Sein letzter Ruf ist nicht als Botschaft an die Nachlebenden zu verstehen, sondern als Beschwörung der Welt, aus der er kam."
Glänzend geschrieben, aber wissenschaftlich unbefriedigend
Ein Schluss – passend zum Unterton des Querdenkers, den Karlauf über 300 Seiten kultiviert: Sicher Sätze, die gegen das erwartbare Pathos zum 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats wappnen können. Da Karlauf glänzend schreiben kann, mag er Laien beeindrucken. Wissenschaftlich aber befriedigt seine biografische Skizze nicht: Sie tritt Stefan George breit. Der Soldat Stauffenberg bleibt ihr aber ein Rätsel – und das hilft dem Leser wenig.