Zeitwort

16.09.1835: Der „große Mond-Schwindel“  – Die New York Sun gesteht eine „Ente“

Stand
Autor/in
Katharina Wilhelm

Der Mond hat die Fantasie der Menschen schon lange beflügelt, doch was der Astronom Sir John Herschel laut einer Artikelserie der New York Sun von 1835 mit seinem neuen Superteleskop auf der Oberfläche des Trabanten entdeckt haben sollte, das war wahrlich fantastisch.

Unbekannte Pflanzen, Urwälder, Mond-Bisons und sogar menschenartigen Mondwesen soll John Herschel mit seinem Superteleskop auf dem Mond entdeckt haben, und jeden Tag wurden die Berichte abenteuerlicher, erklärt Alex Boese, der die Artikel der New York Sun von 1835 in seinem digitalen „Museum of Hoaxes“ veröffentlicht und aufgearbeitet hat:

Zum Beispiel beschrieb er, dass er Mond-Bisons gesehen haben will, außerdem blaue Ziegen und Biber, die auf zwei Beinen laufen.

Illustration zu einer Serie von sechs Zeitungsartikeln der New York Sun von 1835, die unter dem Titel „The Great Moon Hoax“ – „Der große Mond-Schwindel“  bekannt wurden.
„Menschenartigen Mondwesen“ – Illustration zu einer Serie von sechs Zeitungsartikeln der New York Sun von 1835, die als „The Great Moon Hoax“ – „Der große Mond-Schwindel“ Berühmtheit erlangten.

Vier Fuß große menschenartige Mondwesen

Doch den Höhepunkt der Berichterstattung bildete der vierte der sechs Artikel der New York Sun, der in nüchternem wissenschaftlichen Ton von menschenartigen Mondwesen erzählte.

Sie waren im Durchschnitt vier Fuß hoch und überall mit schimmernden kupferfarbigen Haaren bedeckt, nur nicht im Gesicht. Zudem hatten sie Flügel aus einer dünnen Membran bestehend, haarlos, die von den Schultern bis zu den Waden reichten. Das Gesicht war von einer gelblichen Farbe und ähnelte einem Orang-Utan, wirkte aber offener und intelligenter und hatte eine höhere Stirn.

Wissenschaftliche Namen sorgten für Glaubwürdigkeit

Die Glaubwürdigkeit dieser Entdeckung sollte noch durch einen wissenschaftlichen Namen belegt werden, denn Herschel sollte ihnen den Namen „Vespertilio homo“ gegeben haben. Und die Reaktionen auf diese Entdeckungen?

„Die Leute flippten ziemlich aus. Es war so, als würde die NASA uns heute erzählen, dass es Leben auf dem Mars gibt. Denn was dem ganzen eine Glaubwürdigkeit verlieh war, dass die Entdeckung von John Herschel kommen sollte, der damals ein extrem populärer und respektierter Astronom in den 1830er Jahren war“

Zeitgenössische Radierung des Astronomen Sir John Frederick William Herschel. (1792 in - 1871).  Der britischer Astronom war Sohn des
Zeitgenössische Radierung des Astronomen Sir John Frederick William Herschel. (1792 in - 1871). Der britischer Astronom war Sohn des aus Hannover stammenden Uranus-Entdecker Wilhelm Herschel (1738–1822).

Es dauerte drei Wochen, bis der Schwindel aufflog

Die „New York Sun“, ein eigentlich recht kleines Käseblatt, verkaufte sich wie geschnitten Brot – die vermeintliche Entdeckung war in aller Munde. Doch gab es natürlich auch Zweifel an der Geschichte.

Alex Boese: „Man konnte damals nicht mal eben nach Europa zu John Herschel telefonieren und die Geschichte bestätigen lassen. Das gab der New York Sun ein Zeitfenster von drei Wochen, um an der Geschichte festzuhalten. Denn so lange dauerte es, bis man per Schiff bei Herschel nachgefragt und eine Antwort erhalten hatte“.

Am 16. September 1835 war alles plötzlich nur ein „Scherz“

Am 16. September 1835 gab die Zeitung dann zu, dass alles nur ein Scherz gewesen war. Der große Mond-Schwindel ging damit als erste große Zeitungsente in die Geschichte ein. Die Autorenschaft des Artikels ist nicht zweifelsfrei geklärt.

Vermutlich aber kann sie einem der zwei Herausgeber der Zeitung, Richard Adams Locke, zugewiesen werden, so Alex Boese: „Er kam aus einer recht reichen britischen Familie als Immigrant in die USA; musste hier aber sein Geld verdienen und hatte es wohl lange Zeit recht schwer. Zumindest kann man annehmen, dass sein akademischer Hintergrund so gut war, dass er diese doch recht sprachlich anspruchsvollen Artikel schreiben konnte“.

Auch 6000 fantasievolle Illustrationen zum „Mond-Schwindel“ verkauft

Geld brachte der große Mond-Schwindel auf jeden Fall ein, denn neben den Artikeln verkaufte die Zeitung auch noch die fantasievollen Illustrationen in einer Auflage von etwa 6000 Stück, was damals enorm war.

Schließlich fingen die Zeitungen gerade an, Dampfdruckmaschinen einzusetzen. Sie konnten größere Auflagen denn je generieren – und der Great Moon Hoax wirkte wie ein zweiter Motor dafür.

Meilenstein in der Entwicklung der Massenmedien

Alex Boese: „Der Mond-Scherz demonstrierte die Macht der Massenmedien. Zeitungsmacher sahen, dass man die absurdesten Geschichten erfinden konnte. Es markiert einen Punkt in der Zeitungsgeschichte, denn auf einmal sah man ein Geschäftsmodell, mit dem man einfach unheimlich viele Zeitungen verkaufen konnte. Der Scherz öffnete den Weg in den Sensationsjournalismus, in dem sich die Leute mit den absurdesten Geschichten überbieten sollten.“

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