Beim Berliner Festival für elektronische und experimentelle Musik CTM haben ganze 17 Acts ihre Teilnahme abgesagt, weil sie sich Boykott-Kampagne „Strike Germany“ gegen deutsche Kulturinstitutionen unterstützen. Die Begründung: Laut „Strike Germany“ dürften Kulturinstitutionen in Deutschland angeblich keine Kritik an Israel üben. „Das ist wirklich ärgerlich“, sagt der Popexperte Jens Balzer in SWR2.
„Es kursieren mittlerweile die irrsten Pamphlete im Netz“, so Balzer. Da stehe dann zum Beispiel, dass es kolonialistisch sei, wenn DJs aus dem Globalen Süden in Berlin gebucht würden, weil diese die sterbende Berliner Clubszene mit ihren Talenten „beglücken“ sollten. Das sei nichts anderes als Whitewashing, um die deutsche Kolonialgeschichte zu übertünchen, so der Vorwurf der Initiatoren.
Kultursenator hat umstrittene „Antisemitismus–Klausel“ zurückgezogen
Dass der Berliner Kultursenator Joe Chiallo seine umstrittene sogenannte 'Antisemitismus–Klausel' für die Kulturförderung zurückziehen musste, werten die Unterstützer von „Strike Germany" als ihren Erfolg. Dabei hätten selbst Befürworter der Klausel immer wieder darauf hingewiesen, dass eine solche Einschränkung verwaltungsrechtlich problematisch sei, erklärt Jens Balzer.
Boykott könnte auf Dauer ein Problem werden
Doch war der Boykott des CTM–Festivals nur ein Auftakt für weitere Absagen? Jens Balzer weist darauf hin, dass die elektronische Clubmusikszene sich sehr am globalen Süden orientiert habe. „Da ist kritische Masse erreicht, das könnte auf Dauer ein Problem werden." Umgekehrt seien die Boykottaufrufe zur Berlinale auf wenig Resonanz gestoßen. „Es ist aber auch ein anderer finanzieller Einsatz, einen Film aus dem Wettbewerb zurückzuziehen als einen Gig abzusagen.“
Gespräch „Strike Germany“: Eine internationale Kulturszene boykottiert deutsche Institutionen wie das Berghain
Deutschland sei zu israelfreundlich und diskriminiere die palästinensische Bevölkerung, so der Vorwurf internationaler Künstler*innen, die sich am kulturellen Streik beteiligen.
Kulturmedienschau Annie Ernaux‘ Deutschlandboykott und die ARD – Mystery – Serie „Oderbruch“ | 18.01.2024
Seit einer Woche geistert nun der anonyme Aufruf „Strike Germany“ nun schon durch den Kulturbetrieb. Er fordert internationale Künstler und Künstlerinnen auf, deutsche Kultureinrichtungen zu boykottieren. Denn Deutschland stelle sich im Nahostkonflikt zu einseitig an die Seite Israels.
Dass auch Literatur – Nobelpreisträgerin Annie Ernaux als prominente Stimme den Aufruf unterstützt, sorgt in den Feuilletons für Unverständnis und Enttäuschung.
Mehr Beiträge von und mit Jens Balzer
SWR2 lesenswert Kritik Jens Balzer – No Limit. Die Neunziger – das Jahrzehnt der Freiheit
Historische Rückblicke auf bestimmte Schicksalsjahre sind seit einer Weile Mode. Mindestens ebenso ergiebig kann es aber sein, eine ganze Dekade in den Blick zu nehmen. Der Publizist Jens Balzer widmet sich in diesem Sinne seit 2019 den zurückliegenden Jahrzehnten der Zeitgeschichte. Er begann mit den siebziger Jahren, 2021 folgte ein Buch über die Achtziger, und nun ist Balzers Rückblick auf die neunziger Jahre in die Läden gekommen. Ein äußerst süffig zu lesender Kultur- und Mentalitätsabriss mit vielen erhellenden Momenten, sehr unterhaltsam, wenn auch mit einigen tiefen Lücken.
Rowohlt Verlag, 382 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-7371-0173-8
"Alles nur geklaut" Gehen dem Pop die Melodien aus?
Es diskutieren:
Jens Balzer - Musikjournalist, Kolumnist und Autor, Prof. Dr. Hartmut Fladt - Musikwissenschaftler, Universität der Künste in Berlin, Jovanka von Wilsdorf - Songwriterin
Gesprächsleitung: Bernd Lechler
Buchkritik Jens Balzer - High Energy. Die Achtziger - das pulsierende Jahrzehnt
Zwei Jahre nach seinem erfolgreichen Buch über die Kultur der siebziger Jahre legt der Feuilletonist Jens Balzer nun die Fortsetzung vor: Als eine Dekade voller Energie beschreibt er die Achtziger. Ein Jahrzehnt, in dem viele Entwicklungen begannen, die noch die Gegenwart prägen. Ein süffiges Lesebuch voller Erinnerungen, wenn auch Hintergründe anderswo genauer beleuchtet werden.
Rezension von Michael Kuhlmann.
Rowohlt Verlag, 400 Seiten, 28 Euro
ISBN 978-3-737-10114-1