Der Stuttgarter Verein Adapter hat ein modulares Holzsystem entwickelt, mit dem flexible Wohneinheiten in leerstehende Fabrikgebäude gestellt werden können. In Zeiten großer Wohnungsnot könnte man so zum Beispiel kurzfristig zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das Wohnexperiment in Wendlingen könnte eine Debatte über das Umnutzen von Gewerbeflächen anstoßen.
Wohnen in Holzboxen in der Neckarspinnerei
Im ehemaligen Spinnereisaal in Wendlingen verteilen sich acht Wohnboxen aus Holz im Raum. Noch hämmern und bohren ein paar Mitglieder vom Verein Adapter an einigen Stellen. Vor ein paar Tagen sind die ersten Bewohner eingezogen. „Ehrlich gesagt, noch ist alles ein bisschen aufregend, noch ist alles gerade das Ankommen hier", sagt der junge Architekt Paul Vogt, „es muss sich alles noch ein bisschen finden. Aber es fühlt eigentlich von Nacht zu Nacht und von Tag zu Tag mehr wie zu Hause an“.
Durch riesige Sprossenfenster fällt das Licht in die leerstehende 1.000 Quadratmeter große Fabrikhalle aus altem Backstein. Zwischen den Holzboxen liegen Teppiche, darauf stehen gemütliche Sofas. Dort treffen sich die Bewohner und Bewohnerinnen, wenn sie Lust haben. Die drei Bäder nutzen sie gemeinsam. Ebenso wie die Küchenzeile, die offen in der Fabrikhalle steht.
Wer sich zurückziehen will, der geht in sein ca. zwölf Quadratmeter großes Wohnmodul mit raumhohen Schiebetüren aus lichtdurchlässigem Polycarbonat.
Wohnen auf Zeit für 350 Euro pro Monat
Hell und gemütlich ist es, jeder kann sich so einrichten, wie er will. Die Miete beträgt 350 Euro pro Monat. Vor allem für Wohnungssuchende, die neu in eine Stadt kommen, für Auszubildende oder Studierende könnten solche vorübergehenden Wohnlösungen interessant sein.
Es gibt aber auch Teilnehmer, die sich künftig verkleinern wollen. Sie probieren aus, ob sie mit dem reduzierten Wohnen klarkommen. Und manche haben sich schon eine kleine Veranda vor ihr Wohnbox gebaut, die natürlich auch lärmgedämmt ist.
„Wenn jetzt jemand direkt vor der Tür laut redet, dann hört man schon was, aber das System dämpft schon stark “, erklärt Paul Vogt. „Und hat dann auch was mit Rücksicht zu tun, wie man wohnt.“
Komplett zerlegbar und damit wiederverwertbar
Die Wohnboxen lassen sich wieder komplett zerlegen in einzelne Holzpaneele. Die man durch jede Tür tragen kann. So können die Elemente weiterverwendet und später woanders wieder aufgebaut werden.
Die Idee zu dem Projekt entwickelte der Verein Adapter. Dessen Mitglieder ärgerten sich einerseits über immer teurere Wohnungen und andererseits über den Leerstand von Bürogebäuden, Fabrikhallen oder ehemaligen Kaufhäusern. Die Lösung: Schnelles und flexibles Umnutzen solcher Gebäude und damit günstiges Wohnen.
Sechs Jahre in Planung
Sechs Jahre hat es gedauert, bis das Projekt endlich am Start war. Zuerst musste der Verein einen geeigneten Ort finden. Dann galt es noch gesetzliche Hürden zu überwinden. Das Baurecht erlaubt das Wohnen in gewerblichen Räumen nur temporär. Brandschutzauflagen mussten erfüllt, Strom, Wasser- und Abwasseranschlüsse angepasst werden. Die Besitzer der Neckarspinnerei halfen großzügig.
Die Anschubfinanzierung für das Projekt kam von einer Stiftung und vom Verband Region Stuttgart. Noch bis Anfang Oktober läuft der Wohnversuch. Er könnte bundesweit beispielgebend für das künftige Umnutzen von Gewerbeflächen zu Wohnraum sein.
Mehr zum Thema Wohnungsnot
Leben Ohne neu zu bauen – Wie eine Initiative Wohnraum schafft
Die Kinder aus dem Haus, Leerstand, Rumpelkammern – es gibt Wohnraum genug, man muss ihn nur aktivieren, finden die Gründer von Konstanz 83. (SWR 2021)
Leben Leben auf dem Wasser – Großstadtflucht und Inselträume
Eine kleine Insel bei Berlin. Wer hierher kommt, ist auf der Suche - oder will der Großstadt entkommen.