Kulturwandel auf der Kirmes

Möhren in verschiedenen Marinaden: Wittlicher Initiative will weniger Fleisch auf der Säubrennerkirmes

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Autor/in
Anke Petermann

Auf der Wittlicher Säubrennerkirmes, dem größten Volksfest von Rheinland-Pfalz, geht es traditionell darum, möglichst viel Schweinefleisch zu verspeisen. Doch nicht alle Wittlicher sind stolz auf den Fleischkonsum der Superlative. Die Initiative „Gimme Muur“ legt nun Möhren auf den Öko-Grill und wirbt für Nachhaltigkeit. „Wir wollen die Bereitschaft zur Veränderung herausfordern“, sagen die Initiatoren.

Warum wird das Schwein bestraft?

Früher haben sich die Schmitts jeden Sommer auf die Wittlicher Säubrennerkirmes gefreut. Doch inzwischen geht der Familie der Fleischkonsum der Superlative gegen den Strich. Sie gehen nicht mehr hin.

Anette Schmitt, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet, ihr Mann stammt aus Wittlich. Sie selbst hat von Anfang an gefremdelt mit der Geschichte vom Schwein, das bestraft wird, weil es mit der Möhre den improvisierten Riegel des mittelalterlichen Stadttors gefressen hat – und damit den Belagerern ermöglicht, in Wittlich einzufallen.

„Die Schweine werden bestraft, weil sie die Feinde reingelassen haben. Aber eigentlich sind sie ja schlau gewesen, haben die Möhre gefressen, weil sie sehr lecker war. Die Geschichte hätte man auch anders aufrollen können.“

„Gimme Muur“: Wittlicher wollen Möhren grillen

Genau das tut jetzt eine Initiative von Wittlichern. „Gimme Muur“, gib mir die Möhre‘, heißt sie auf Denglisch, gemischt mit Platt. Sie orientiert ihre neue Erzählung an der Möhre und dreht damit das Säubrenner-Narrativ weiter, in Richtung Nachhaltigkeit.

Der aus Wittlich stammende Designer Thomas Hebler hat dazu das passende Logo entworfen: Säue und Möhren über dem Feuer.

Ein Seitenhieb auf die Wittlicher Superlativen

Am Kirmessonntag lädt Gimme Muur in den historischen Garten zum Möhrengrillen ein. Und nennt das „die kleinste Möhrbrennerkirmes der Welt“.

Ein kleiner Seitenhieb auf Wittlicher Superlative, erläutert Uli Merle: „Rekorde brechen im Schweinegrillen: 101, 115 – und im nächsten Jahr noch mehr. Wir wollen da einen Kontrapunkt setzen.“

Möhren in verschiedenen Marinaden

Der Grill für das nachhaltige Möhren-Testgrillen wird gespeist aus einer Mini-Biogasanlage, die aussieht wie ein kleines Gewächshaus. Erfunden hat sie die Eifler Sozialunternehmerin Katrin Pütz.

Die Anlage speist sich aus Rinderdung eines benachbarten Bio-Hofs und selbst erzeugtem Grünabfall. Jörg Becker hat Möhren in verschiedenen Marinaden zum Grillen auf einer selbstgebauten Plancha bereitgestellt, einer runden Metallplatte auf einem ausrangierten Benzinfass.

Die Möhren brutzeln schnell. Nach einigen Minuten schiebt Becker sie an den Rand der Plancha, wo sie nachgaren, ohne zu verkokeln. Karotten, ein unterschätztes Gemüse, witzelt er: „Das sind unsere Knackwürstchen.“ Das Grill-Experiment hat funktioniert, es schmeckt.

Kein Interesse an einem Wittlicher Kulturkampf

„Gimme Muur“ hat das das Biogas fürs Grillen am Rande des Volksfestes in tragbaren Plastiksäcken gespeichert. Die sind rosa, mit fröhlichem Schweinsgesicht.

Das signalisiert: Die kleinste Möhrbrennerkirmes der Welt setzt nicht auf Kulturkampf und Polarisierung. Aber, so Thomas Hebler: „Die Bereitschaft zur Veränderung wollen wir schon herausfordern.“

„Es passt in die Zeit“

Anette Schmitt hatte bislang noch nichts gehört von der geplanten Möhrbrennerkirmes. Aber: „Die Geschichte umzudrehen finde ich spannend und toll. Ich hoffe, dass daraus was wird.“

Die Schmitts wollen die Möhrbrennerkirmes besuchen. „Es passt in die Zeit. Wir haben eine Klimakrise. Es sind ganz viele Leute im Moment dabei, wach zu werden und zu überlegen: Was kann ich dazu beitragen?“

Nachhaltiges Möhrengrillen: Puzzleteil eines neuen Kreislaufdenkens soll es sein.

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