Massentourismus und seine Folgen

Kolosseum oder Vergnügungspark? Streit um Airbnbs Gladiatorenspektakel in Rom

Stand
Autor/in
Christian Batzlen

Eigentlich sind Gladiatorenkämpfe im Kolosseum von Rom seit 1.600 Jahren verboten. Im Gegenzug einer Millionenspende soll nun die US-Wohnungsplattform Airbnb mit dieser Tradition brechen dürfen. Viele Römer kämpfen gegen die Kommerzialisierung ihrer Stadt. Möge die Gemeinschaft gewinnen.

Die ganze Welt kennt das Kolosseum, Heimat der Gladiatoren, ein Symbol für Macht und Reichtum, der Stolz einer ganzen Stadt, Besuchermagnet, Weltkulturerbe – und aktuell Schauplatz eines Kampfes zwischen Kommerz und Kultur.

Liegen im Kolosseum
Erst soll es hinab in die unterirdischen Kammern gehen, in denen sich die Gladiator*innen auf den Kampf vorbereiten. Die mit Fackeln erleuchteten, labyrinthartigen Gänge des Kolosseums werden durchquert, dort, wo einst Maximus entlang schritt. Dann wird oben gekämpft und sich zwischendurch auf diesen Betten erholt und gestärkt.

1,5 Millionen Dollar will die globale Reiseplattform Airbnb dem Archäologischen Park des Kolosseums (PArCo) zur Verfügung stellen und im Gegenzug an zwei Abenden ein Gladiatorenevent stattfinden lassen. Es wären die ersten Gladiatorenkämpfe seit dem Verbot durch Kaiser Honorius im Jahr 404 n. Chr. 

„Wir sind nicht in Disneyland, wir sind in Rom”

Der Aufschrei ist riesig. Einige Kritiker haben Bedenken, dass solche Events den kulturellen Wert des Kolosseums untergraben könnten und das historische Erbe für Marketingzwecke instrumentalisiert wird.

Mit der Ankündigung der Initiative hat das Unternehmen sogar „das Römische Reich für sich beansprucht“ und in sozialen Netzwerken gepostet: „This is our Roman Empire“, begleitet von einem Video, das die zukünftigen Erlebnisse der Gladiatorenanwärter zeigt.

THIS is our Roman Empire ⚔️ Request to book a private Colosseum gladiator training session on Airbnb. See @gladiatormovie only in cinemas this November (in US theatres November 22). #gladiator #gladiatorII #colosseum #airbnb See link in bio for rules.

„Es ist unglaublich, dass überhaupt über einen Vorschlag nachgedacht wird, Touristen in der Arena des Kolosseums kämpfen zu lassen“, sagt Enzo Foschi, Generalsekretär der PD Rom gegenüber der Gazzetta del Sud, „ein Werbegag von Airbnb, das nach der Übernahme des historischen Zentrums, das vollständig verfremdet und in einen riesigen Tourismuspark verwandelt wurde, nun das Kolosseum lächerlich machen will”

Marketingziel ist ein bewussterer Tourismus

Ziel der Airbnb-Veranstaltung sei, ein Zeichen für bewussteren Tourismus zu setzen. 16 Airbnb-Touristen können sich für eine Auslosung registrieren und im Mai 2025 für drei Stunden in die Rolle kämpfender Gladiatoren schlüpfen. Doch es stellt sich die Frage, ob solche inszenierten Events tatsächlich zum Verständnis der römischen Geschichte beitragen, oder diese trivialisieren.

Die Veranstaltung ist ein PR-Event rund um den Kinostart des Films „Gladiator II” und könnte den Fokus von der kulturellen Bedeutung des Kolosseums auf reine Unterhaltung verschieben.

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Das Kolosseum als lebendiges Monument

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Trotz der Kritik verteidigt die Verwaltung des Kolosseums die Aktion als Möglichkeit, das historische und kulturelle Erbe aufzuwerten und gleichzeitig Mittel für Restaurierungsarbeiten zu gewinnen. Der museale Rundgang der Dauerausstellung soll so modernisiert werden. 

Alfonsina Russo, die Leiterin des archäologischen Parks Kolosseum, betont, dass solche Kooperationen dazu beitragen, das Kolosseum zu erhalten. Diese Spende ist Teil eines größeren Engagements von Airbnb. Der Konzern hat insgesamt über 10 Millionen US-Dollar bereitgestellt für ein Programm zur „Wiederbelebung des Tourismus in Europa“.

Einerseits finanziert die Veranstaltung die Restaurierung des Kolosseums, andererseits behandelt sie das Kolosseum wie einen Vergnügungspark. Das Weltkulturerbe sollte geschützt, aber auch für alle zugänglich gemacht werden. Es darf nicht zu einem Ort für Eskapaden einiger weniger werden.

Auch Rom ächzt unter dem Massentourismus 

Viele Römer sehen in dem Event zudem einen Widerspruch zum Versprechen, etwas gegen den Massentourismus zu unternehmen. Das Kolosseum zieht bereits ohne solche Sonderveranstaltungen jährlich etwa sieben Millionen Touristen an. Es ist die meistbesuchte Attraktion des Landes und Sinnbild für den Massentourismus.

Zusätzliche Attraktionen wie diese könnten den Übertourismus in Rom weiter verstärken, zumal der Vatikan 2025 auch noch als „Heiliges Jahr“ ausgerufen hat und dadurch mehr als 40 Millionen Gäste erwartet werden. Traumzahlen für Wohnungsvermittlungen wie Airbnb, ein Graus für die drei Millionen Römerinnen und Römer.

Touristen vor dem Kolosseum
35 Millionen Besucherinnen und Besucher sind 2023 für mindestens eine Nacht nach Rom gekommen. Ein neuer Rekord. Die Leidtragenden sind die Bewohner. Rom ist fest im Griff des Massentourismus. Das Kolosseum ist dabei die Hauptattraktion des gesamten Landes.

Im modernen Rom kämpft die Menschen um Wohnraum

Für viele von ihnen steht die Arena hier als Metapher für den Wohnungsmarkt. Der Kampf um Wohnraum gleicht dem Gladiatorenspiel: Wenige kämpfen um das Recht, zu bleiben, während die Masse zusieht. Airbnb agiert dabei wie ein mächtiger Herausforderer. Die Römer, die seit Generationen im historischen Zentrum leben, werden aus ihren Wohnungen verdrängt, weil die Immobilienmärkte auf kurzfristige Renditen ausgerichtet sind.

Im antiken Rom lenkten Gladiatorenspiele, inszeniert vom Kaiser, das Volk von den Missständen ab und befriedigten seine Sensationsgier. Die Parallelen sind nicht zu verkennen. Heute sind es multinationale Unternehmen wie Airbnb, die diese Dynamik neu aufleben lassen. Sie laden ein, die Gladiatorenerfahrung in der Arena zu erleben, während sie im Hintergrund an der Substanz der Stadt nagen.

Schlüsselbox an Haustüre
Sie sind mittlerweile zu einem verhassten Symbol geworden: die Zahlenschlossboxen von Ferienwohnungn in der Innenstadt. Aktivisten kleben diese mittlerweils regelmäßig zu, sodass kein Schlüssel entnommen werden kann. Auch in Mailand und Venedig hatte es jüngst Proteste gegen die Schlüsselkästchen gegeben. In Florenz sind sie künftig in der historischen Altstadt verboten.

Ausgerechnet Airbnb

Bürgerinitiativen und Anwohnervereinigungen protestieren vehement gegen die Aktion. Die Associazione Abitanti Centro Storico nennt es „beschämend“, wie man diejenigen einbindet, „die dazu beitragen, Geschichte und Leben der Leute zu zerstören“.

Denn der wahre Kampf findet nicht in der Arena statt, sondern in den umliegenden Vierteln, wo die einst lebendigen Straßen des historischen Zentrums durch Massentourismus, Gentrifizierung und explodierende Mieten entvölkert werden.

Alberto Campailla, Koordinator der gemeinnützigen Organisation Nonna Roma, bezeichnet die Zusammenarbeit als „eine Schande“ und „Touristifizierung“, wie AP berichtet und verweist auf die negativen Auswirkungen von Airbnb auf den Wohnungsmarkt. Die Römer selbst werden zu Statisten in einem Spiel, dessen Regeln nicht von ihnen gemacht werden. 

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Forderungen mehren sich auf das Spektakel zu verzichten

Um den Protest der Bürger noch stärker zu machen, hat der Stadtrat und Vorsitzende der Jubiläumskommission, Dario Nanni, beschlossen, eine Petition auf change.org zu starten. Unter dem Titel „Das Kolosseum ist kein Vergnügungspark“ fordert diese, das Abkommen zwischen Airbnb und dem Archäologischen Park zu stoppen. 

Roms Stadtrat für Kultur, Massimiliano Smeriglio sagte: „Es wäre ein starkes Signal, wenn Airbnb die Finanzierung im Sinne von Verantwortlichkeit und sozialer Unternehmensverantwortung bereitstellen würde, ohne eine Gegenleistung zu verlangen“. Auch der sozialdemokratische Bürgermeister Roberto Gualtieri forderte einen Stopp der geplanten Aktion.

Mögen die Spiele beginnen!

Vielleicht aber auch ist die Rückkehr der Gladiatoren in das Kolosseum ein notwendiges Schauspiel, um uns die Dringlichkeit der Wohnungsnot vor Augen zu führen: In den Vierteln wird um das Überleben gekämpft, eine Schlacht um bezahlbaren Wohnraum.

Die Innenstadt ist selbst zur Arena geworden, in der es für Römerinnen und Römer gilt, den städtischen Raum wieder zurückzuerobern.

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