Die Recherche von Correctiv, veröffentlicht am 10. Januar 2024, brachte ein Treffen rechtsextremer Akteure ans Licht. Dabei sollen Vertreterinnen und Vetreter der AfD, Neonazis, CDU-Mitglieder, Mitglieder der Werte Union sowie wohlhabende Sympathisanten der rechten Szene in einem Hotel in Potsdam zusammengekommen sein. Ziel des Treffens war es laut Correctiv unter anderem, Strategien für die sogenannte „Remigration“ zu entwickeln.
Als Redner trat unter anderem Martin Sellner auf, ein prominenter Vertreter der rechtsextremen Szene. Sellner forderte an diesem Abend die gezielte Rückführung von „Asylbewerbern, Ausländern mit Bleiberecht und nicht assimilierten Staatsbürgern“, heißt es im Correctiv-Artikel. Die Recherche deckte die engen Verbindungen zwischen extremistischen Netzwerken und politischen Akteuren der AfD auf und löste breite Empörung aus.
Correctiv-Enthüllung sorgte für Massenproteste
Die Enthüllungen lösten die größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik aus, erklärt der Leipziger Protest-Forscher Dr. Piotr Kocyba im Gespräch mit SWR Kultur. Bundesweit organisierten sich Menschen, um gegen die Normalisierung rechtsextremer Ideologien zu demonstrieren. Sie forderten strengere Kontrollen rechtsextremer Netzwerke und eine klare gesellschaftliche Abgrenzung von solchen Positionen.
„Die Proteste setzten ein deutliches Zeichen gegen den Rechtsruck und für Solidarität mit den Betroffenen“, erklärt Kocyba. Die Proteste erzielten in einigen Bereichen sichtbare Erfolge: Sie schärften die öffentliche Debatte und führten zu einem stärkeren Zulauf bei Bildungsinitiativen gegen Rechtsextremismus.
Doch heute sei von der Bewegung kaum noch etwas zu spüren. Der Protest-Forscher macht dafür unter anderem „das Ausbleiben politischer Konsequenzen und eine zunehmende Resignation“ verantwortlich. Strukturelle Reformen blieben vielerorts aus.
„Remigration“ als Schlagwort rechter Rhetorik
Mittlerweile wird der umstrittene Begriff „Remigration“ offen als zentrales Schlagwort der AfD genutzt. Schon beim Wahlkampf im Sommer 2024 in Thüringen nutzte die AfD den Plakatslogan „Sommer, Sonne, Remigartion“. Ende November vergangenen Jahres verabschiedete die bayrische AfD-Landesverband auf seinem Parteitag in Greding eine Resolution zur massenhaften Abschiebung von Migrantinnen und Migranten.
Auch wenn der Beschluss in weiten Teilen der Bevölkerung für Entsetzen sorgte, hält die AfD am Kurs fest. Kurz nachdem Parteichefin Alice Weidel am Wochenende auf dem Bundesparteitag einstimmig zur Kanzlerkandidatin gewählt wurde, bekräftigt sie in ihrer Rede zur Wahl, dass bei einer Regierungsverantwortung der AfD, die deutschen Grenzen „dicht“ gemacht würden.
Weidel spricht deutlich über geplanter „Remigration“
Auch werde es „Rückführungen in großem Stil“ geben, sagte Weidel. Die Politikerin benutzte dabei ganz explizit den Begriff „Remigration“: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration“, sagte sie. Für diese Aussage erhielt sie Zuspruch und Jubel von den anwesenden Delegierten in der Halle.
Nach Weidels Rede beschlossen die Delegierten, „Remigration“ als Ziel ins Wahlprogramm aufzunehmen. Ursprünglich war der Begriff, der im rechtsextremen Spektrum als Code für die massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund gilt, nicht im Entwurf des AfD-Bundesvorstands vorgesehen.
Bei Europa- und Landtagswahlen hat die rechtsradikale AfD in diesem Jahr viele neue Stimmen gewonnen. Ein Verbot der Partei wird immer wieder diskutiert.
Proteste gegen Bundesparteitag der AfD in Riesa
Aber auch wenn die große Proteste wieder abgeflaut sind: Gegen Rechtsextremismus wird nach wie vor demonstriert. Der AfD-Bundesparteitag in Riesa begann mit über zwei Stunden Verspätung, da Gegendemonstranten die Anreise vieler Delegierter blockierten. Rund 12.000 Menschen verschiedener Gruppen – darunter Gewerkschaften, Parteien, Kirchenchöre und Klimabewegungen – protestierten laut dem Bündnis „widersetzen“ gegen die Veranstaltung. Die Polizei sprach von etwa 10.000 Teilnehmern im gesamten Stadtgebiet.
Die Initiatoren des Gegenprotestes gegen den AfD-Parteitag in Riesa verbuchten die große Teilnehmerzahl als Erfolg. Gleichzeitig kritisierten sie den Einsatz der Polizei. Die Beamten seien mit unangebrachter Härte gegen die Demonstranten vorgegangen. Auch habe es einen besonders schweren Fall von Polizeigewalt am Wochenende in Riesa geben.
Der Landtagsabgeordnete und parlamentarische Beobachter der Linkspartei, Nam Duy Nguyen und sein Begleiter seien von Polizisten geschlagen worden und zu Boden gegangen. Der Mandatsträger sei einige Sekunden lang bewusstlos gewesen. Nam Duy Nguyen hat inzwischen Anzeige erstattet, die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Herausforderungen und ungelöste Probleme
Ein Jahr nach der Veröffentlichung der Recherche zeigt sich, dass ein Großteil der aufgedeckten Strukturen weiterhin besteht. Viele Menschen empfinden daher die politischen Maßnahmen als unzureichend oder zu langsam – die Resignation wächst. Die Verharmlosung rechtsextremer Begriffe und Ideologien erschwert zudem die öffentliche Auseinandersetzung. Gleichzeitig treiben Desinformationen und Gegenkampagnen die Polarisierung der Gesellschaft weiter voran.
Gleichzeitig zeigen die jüngsten Proteste in Riesa, dass innerhalb der Bevölkerung das Bewusstsein für die Gefahren des Rechtsextremismus geschärft wurde. Auch ein Jahr nach den Enthüllungen sind viele Menschen bereit, Widerstand zu leisten und sich aktiv für die Werte einer offenen und demokratischen Gesellschaft einzusetzen.