"Da kam plötzlich dieser große Geländewagen mit dem Anhänger über den Forstweg. Den habe ich hier noch nie gesehen", erinnert sich Waldbesitzer Reiner Miesen aus Olkenbach bei Wittlich an den 15. Dezember vergangenen Jahres. Am folgenden Tag sollte dort eine Drückjagd stattfinden.
Reiner Miesen füttert am Waldrand gerade seine Schafe. Das Kennzeichen des Wagens kann er nicht erkennen. Also fährt er etwas später den Spuren im feuchten Weg hinterher. Es ist schon dunkel, als ihm auf dem Weg eine Gruppe Tiere auffällt, die sich seltsam verhält.
Als er näher kommt, stellt Miesen fest, dass es sich möglicherweise um Damwild handelt. "Das kommt hier bei uns im Wald überhaupt nicht vor", sagt Miesen. "Ich war etwas irritiert. Die Tiere waren ganz zahm. Ich schien sie gar nicht zu stören", erinnert er sich. Er habe sie aus dem Fenster seines Wagens sogar streicheln können. Das komme nur bei Tieren vor, die in einem Gehege leben und an Menschen gewöhnt seien.
Miesen hat den Geländewagen im Verdacht. Die Tiere seien dorthin transportiert worden, vermutet er. Auch deswegen seien sie möglicherweise so ruhig gewesen, glaubt er. "Manche geben den Tieren Beruhigungsmittel vor Transporten, weil die sich sonst wehren und auf keinen Fall auf den Hänger wollen."
Damwild bei Jagd geschossen
Am kommenden Tag erfährt Reiner Miesen, dass im Wald bei Olkenbach eine Drückjagd für eine niederländische Jagdgesellschaft durchgeführt wurde. Und dass dabei Damwild erlegt worden sei. Für ihn ist die Sache klar. Nach den Vorfällen meldet sich Miesen beim Veterinäramt der Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich und schildert das, was er gesehen hat.
Miesen hat den Verdacht, dass bei der Jagd nachgeholfen wurde, um den niederländischen Jagdtouristen ein Erfolgserlebnis bieten zu können. "Ich denke, die haben die Tiere da ausgesetzt, damit die Jagdkunden am nächsten Morgen handzahmes Wild vor die Flinte bekommen."
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Die Niederländer hätten in der Region viele Jagdflächen gepachtet. "Wenn die am Wochenende kommen, wollen die natürlich auch was schießen", glaubt Miesen.
Nach den Hinweisen von Reiner Miesen geht der Kreis Bernkastel-Wittlich der Sache nach. "Aufgrund der doch sehr konkreten Zeugenaussagen bestand der dringende Verdacht, dass es sich bei dem erlegten Damwild um Gatterwild handelt", teilte eine Sprecherin der Kreisverwaltung dem SWR mit.
Beruhigungsmittel im Wildfleisch
Direkt nach dem Jagdwochenende hätten Mitarbeiter des Veterinäramts dem Jagdleiter einen Besuch abgestattet. Dort sei das geschossene Damwild sichergestellt worden, so eine Kreissprecherin.
Proben des Fleischs gingen dann ans Landesuntersuchungsamt. Die Experten bestätigen den Verdacht des Bausendorfer Waldbesitzers. Im Fleisch des geschossenen Damwilds wurden Beruhigungsmittel nachgewiesen. Nach Ansicht des Kreises könnten die Tiere narkotisiert worden und dann "zum Zwecke der Bejagung aus rein kommerziellem Interesse im betreffenden Jagdrevier ausgesetzt worden sein."
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Kreis erstattet Anzeige nach Jagd
Mittlerweile hat der Kreis Bernkastel-Wittlich den Jagdleiter bei der Staatsanwaltschaft Trier angezeigt. "Es besteht der dringende Verdacht, dass es sich bei dem Damwild um Gatterwild handelt", so die Kreisverwaltung. Also um zahme Tiere, die nicht mehr in freier Wildbahn leben und den Fluchtinstinkt verloren haben.
Daher komme in diesem Fall auch nicht das Jagdrecht, sondern das Tierschutzrecht zum Tragen. Strafbar macht sich demnach, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet. Dafür kann es eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe geben.
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Jagdverband geht von Einzelfall aus
Gundolf Bartmann ist Förster in Trier und Vizepräsident des Landesjagdverbands. Fälle wie der aus Bausendorf seien ihm in seiner Karriere noch nicht zu Ohren gekommen, sagt Bartmann.
Bartmann geht davon aus, dass es sich bei dem Verdacht in Bausendorf um einen Einzelfall handelt. So etwas bekäme man unter Jägern und Förstern irgendwann mit. "Dass vielleicht mal jemand seine Geschäftspartner mit leichten Abschüssen froh machen will, schließe ich aber nicht aus."
"Von solchen Praktiken distanzieren wir uns", sagt der Förster und Jäger. Tiere aus einer Gehegehaltung in ein Jagdrevier zu transportieren, um sie dort zu schießen, widerspreche der Jagdethik.
Das Tier müsse auch eine Chance haben, zu entkommen, sagt der Jäger und Förster. Tiere aus Gehegen seien aber zahm. Ihnen sei der Fluchtinstinkt abhandengekommen, so Bartmann. "Die Jagd muss fair sein. Das ist ein Grundsatz."
Zeuge ist fassungslos wegen Umgang mit Kälbern
Reiner Miesen aus Olkenbach ist froh, dass jetzt die Staatsanwaltschaft in der Sache ermittelt und die Vorfälle klären will. Was ihn nach wie vor fassungslos macht, ist, wie gedankenlos seiner Ansicht nach gejagt wurde.
"Am Morgen nach der Jagd tauchten hier drei Wild-Kälbchen im Ort auf", erzählt er. Miesen geht davon aus, dass das Muttertier erlegt wurde, die Kälber aber nicht. Bei einer geordneten Jagd würden zuerst die Kälber geschossen und danach das Muttertier. Klappt das nicht, müsse der Jäger die Mutter laufen lassen.
"Das, was hier bei der Jagd passiert ist, ist auf deutsch gesagt eine Schweinerei. Das macht man nicht und fertig", steht für Reiner Miesen fest.