Wer Natalia begegnet, merkt erstmal nicht, dass sie fast blind ist. Denn einen Blindenstock hat sie nicht. Die Augenkrankheit, die sie hat, heißt Morbus Stargardt und ist eine Erbkrankheit. Dabei löst sich die Netzhautmitte ab - die Stelle, mit der Menschen am schärfsten sehen. Der Außenbereich der Netzhaut ist nicht betroffen. "Was ich sehe, ist nicht viel. Ich sehe Umrisse von Menschen, Bäumen oder Gegenständen auf der Straße, aber nur in 2D", erklärt Natalia. Details könne sie gar nicht erkennen, auch wenn sie ganz nah sind. Sie orientiert sich hauptsächlich über ihr Gehör oder die zu erkennenden Umrisse.
Unterricht als Herausforderung
Die Schulzeit sei für sie nicht leicht gewesen, erzählt Natalia. Denn sie hat keine spezielle Schule für Sehbehinderte besucht. Das sei ihr Wunsch gewesen. Um mitarbeiten zu können, hatte sie ein Tablet, mit dem sie Texte und Arbeitsblätter vergrößern konnte.
Der Unterricht sei eine Herausforderung gewesen. Wenn beispielsweise ein Arbeitsblatt besprochen und gleichzeitig an die Tafel geschrieben wurde, hatte sie aufgrund ihrer Sehbehinderung Schwierigkeiten. Das habe sie sehr gestresst und sei nervenaufreibend gewesen. "Das letzte halbe Jahr habe ich einfach aufgegeben und habe einfach alles kommen lassen." Sie hätte sich da teilweise mehr Rücksicht von Lehrenden gewünscht - bei einigen habe es aber auch funktioniert und sie sei unterstützt worden.
Kaputte Ampeln und fehlende Markierungen Wenn der Weg durch Trier für Blinde zum Spießrutenlauf wird
Für blinde Menschen ist es an vielen Stellen gefährlich, in Trier unterwegs zu sein. Eine Selbsthilfegruppe kritisiert die Stadtverwaltung. Es gebe immer noch zu viele Barrieren.
Probleme beim Fachabitur
Natalia bekam für ihre Abschlussprüfungen aufgrund ihrer Sehbehinderung einen sogenannten Nachteilsausgleich. Konkret eine halbe Stunde mehr Zeit pro Prüfung. Und trotzdem wurde es problematisch. Der Grund: Die Hilfsmittel. Während ihrer Deutschprüfung habe sie ihr eigentliches Hilfsmittel, das Tablet, mit dem sie auch immer während des Unterrichts gearbeitet hat, nicht nutzen dürfen. Denn wegen technischer Probleme konnten andere Apps auf dem Gerät nicht gesperrt werden. Das ist nötig, damit sie nicht täuschen kann.
Stattdessen wurde ihr ein Laptop zur Verfügung gestellt. Die Texte für die Prüfung waren darauf gespeichert. Um die aber lesen zu können, musste sie sie um 800 Prozent vergrößern. Dadurch sei der Text nicht mehr zusammenhängend lesbar gewesen. Zudem sei der Kontrast des Textes durch das einscannen so schwach gewesen, dass ihr das zusätzlich Probleme bereitet hatte.
"Ich fand schon, dass ich ein schwierigeres Fachabitur hatte, als der Rest. Schon allein wegen der Umstände", blickt Natalia zurück.In diesem Zusammenhang hätte sich die 18-Jährige mehr Unterstützung und eine andere Lösung seitens der Schule gewünscht. So sei sie während ihrer Prüfungen vollkommen in Stress geraten
Beispielsweise habe sie nur einen Teil des vorgegebenen Textes lesen können, weil sie sonst keine Zeit mehr für die schriftliche Ausarbeitung gehabt hätte. "Ich habe dann irgendwann gedacht, ich mach's jetzt irgendwie. Irgendwann hab ich dann da auch fast aufgegeben, weil ich so verzweifelt war."
Selbständig und blind: Nathalie verliert während des Studiums ihre Sehkraft
Wir treffen Nathalie zufällig auf dem Louis Braille Festival in Stuttgart, eine Veranstaltung für Menschen mit Sehbehinderung. Nathalie hat einen Blindenstock in der Hand und trinkt mit ihren Eltern einen Kaffee, als wir die 25-Jährige ansprechen.
Schule weist Kritik zurück
Die Theobald-Simon-Schule in Bitburg kann die Kritik von Natalia nicht nachvollziehen. Inklusion sei ein wichtiger Bestandteil des Schulkonzeptes. Es sei alles getan worden, um die Schülerin im Unterricht und auch bei den Abschlussprüfungen zu unterstützen.
Im Vorfeld der Prüfungen sei frühzeitig abgesprochen worden, dass Natalia auch in den Prüfungen mit dem Tablet arbeiten könne, wenn die technischen Voraussetzungen gegeben seien. Als Alternative sei ihr der Laptop angeboten worden. Das sei auch alles ausprobiert worden. Kritik seitens der Schülerin habe es nicht gegeben.
Auch den zeitlichen Nachteilsausgleich habe man nach "bestem Wissen und Gewissen" gewährt, so der Schulleiter.
Schule für Blinde und Sehbehinderte war keine Option
Natalia war es wichtig, eine Regelschule zu besuchen und nicht auf eine spezielle Schule für Blinde und Sehbehinderte zu gehen. "Ich möchte nicht als behinderte Person abgestempelt werden", sagt die 18-Jährige.
Denn an diesen Schulen gehe man anders mit den Menschen um. Rücksichtnahme sei wichtig, aber man sollte Menschen nicht das Gefühl geben, anders zu sein. "Ich finde nicht, dass ich in eine Behindertenschule rein passe", sagt Natalia.
Gemischte Gefühle mit Blick auf die Zukunft
Natalia ist stolz darauf, ihr Fachabitur trotz allem bestanden zu haben und das gar nicht mal schlecht, wie sie sagt. Bald startet sie ihre Ausbildung im Bereich Büromanagement. Auch da will sie auf eine normale Berufsschuhle gehen, nicht auf eine Spezialschule.
In die Zukunft blickt sie mit gemischten Gefühlen - je nach Tagesform. Manchmal habe sie noch Zweifel daran, wie sie das alles schaffen soll. Aber ihre bisherigen Erfolge machen ihr Mut.