Wie hat die Landrätin auf die steigenden Pegel reagiert?
Wie wichtig waren schnelle Entscheidungen?
Hat das Krisen-Management funktioniert?
Wie schwierig war es, die richtigen Entscheidungen zu treffen?
Wie wird sich der Vulkaneifelkreis nach dem Hochwasser aufstellen?
SWR Aktuell: Frau Gieseking, wie haben Sie den Abend des 14. Juli erlebt, als die Pegel bedrohlich stiegen - wie waren Sie vorbereitet und wie haben Sie reagiert?
Julia Gieseking: Wir sind nicht unvorbereitet in diese Situation gekommen. Wir haben die Wetter-Nachrichten verfolgt und der Geschäftsbereichsleiter für Sicherheit, Ordnung und Verkehr kam schon am Tag vorher in mein Büro und hat gesagt, dass er erst einmal alle Termine absagt. Insofern war das nichts, was uns spontan ereilt hat. Er hat dann schon mit dem Brand- und Katastrophenschutz gesprochen und wir haben uns geeinigt, auf Habachtstellung zu bleiben.
Als wir merkten, dass die Wetterlage wie prognostiziert eintrifft, haben wir dann sehr schnell die technische Einsatzleitung in Hillesheim besetzt. Erst mit einem kleineren Stab, später mit einem größeren. Dann wurde bald die vierte Warnstufe ausgerufen, sodass der Landkreis die Koordination der Einsätze von Hillesheim aus übernehmen konnte.
Die Frage stellte sich: Wie erreichen wir überhaupt Menschen, die in Not geraten? Wir dachten, wir müssten das Seniorenheim in Hillesheim evakuieren. Durch Notstrom und andere Lösungen konnten wir den Betrieb aufrechterhalten. Es gab bei uns also wirklich auch schwierige Momente an dem Abend.
Dramatische Szenen bei Hochwasser in der Vulkaneifel
SWR Aktuell: Wie ernst war die Lage aus Ihrer Sicht an diesem Mittwochabend, den 14. Juli?
Gieseking: Wir hatten Angst und Bedenken. Deshalb haben wir auch den Katastrophenfall ausgerufen. Wir haben dramatische Szenen erlebt: Rettungen von Menschen aus Häusern und Autos. Irgendwann hat es aufgehört zu regnen. Das war schon Glück. Wenn das Wasser noch weiter angestiegen wäre, dann wäre es bei uns garantiert zu massiv größeren Problemen gekommen. Wir hatten auch Glück, dass niemand in das hohe Wasser reingefallen ist, das zum Beispiel im Gerolsteiner Bahnhof alles überflutet hat.
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SWR Aktuell: Sie sind noch nicht lange im Amt. Hatten Sie dennoch alle nötigen Kontakte und Berater an der Hand?
Gieseking: Die richtigen Kontakte hatte ich natürlich auch schon vorher. Im Vorfeld hatte ich mir den Katastrophenschutz bereits angesehen. Ich hatte auch vor dem Unwetter Kontakt zum Brand- und Katastrophenschutzbeauftragten. Als es losging, sind wir nach Hillesheim gefahren. Dort haben wir zusammen in einem Team über die Dinge entschieden. Das hat super geklappt und ich war nicht auf mich alleine gestellt.
Ich hatte auch direkt Kontakt zu den Verbandsgemeindebürgermeistern, um mit ihnen die Schulschließungen zu klären. Mir war es auch sehr wichtig, dass wir schnell damit an die Öffentlichkeit gehen. Unser Post in den sozialen Medien hat 130.000 Menschen erreicht. Da sieht man, dass man in so einer Situation einen Vorteil daraus ziehen kann, dass man gut vernetzt ist. Dadurch waren die Leute gut informiert, dass die Lage einfach ernst ist.
SWR Aktuell: Ist es auch ein Vorteil, als Landrätin direkt vor Ort zu sein und sich auszukennen?
Gieseking: Ich denke, das ist ein entscheidender Punkt. Dass es ganz wichtig ist, dass man vor Ort angemessen auf Situationen reagieren kann. Wenn man einfach schnell jemanden mit einem Bagger braucht, der gerade einen verstopften Bach freibaggert - dann ist das natürlich auf dem Land viel einfacher. Jeder kennt jemanden. Man hat ja auch diese Solidarität gespürt. Es waren alle direkt "Gewehr bei Fuß" und konnten helfen.
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SWR Aktuell: Konnten Sie sich auf eine solche Situation wie das Hochwasser überhaupt vorbereiten?
Gieseking: In Bad Neuenahr-Ahrweiler gibt es eine Akademie, die sehr vielfältige und umfangreiche Kurse anbietet. Einen solchen Kurs habe ich noch nicht gemacht. Das ist also alles "Learning by Doing". Wobei ich in diesem Fall ja nicht alleine auf meine Entscheidung angewiesen war. Sondern es waren kompetente Menschen, die das schon seit Jahren machen, gemeinsam in diesem Team, das Entscheidungen getroffen hat. Aber ich habe schon an dem Abend gedacht: Es ist sinnvoll, selbst so eine Fortbildung zu machen. Und das werde ich auch auf jeden Fall machen.
Digitalfunk ist bei Hochwasser-Katastrophe ausgefallen
SWR Aktuell: Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Krisenmanagement, Frank Roselieb, sagt, hauptamtliche Landrätinnen und Landräte seien eigentlich für das Thema Katastrophe installiert. Alles andere seien Nebentätigkeiten. Wie sehen Sie das?
Gieseking: Ich denke, dass das alles ein bisschen komplexer ist. Grundsätzlich hat jeder eine Eigenverantwortung. Man hat das vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren in unseren Zeiten, die so lange so friedlich waren. Ich erinnere mich an die Zeit des Kalten Krieges, als das Verhalten der Bevölkerung im Katastrophenfall thematisiert wurde. Auch in Schulen. Wo man angeleitet wurde, was ein Haushalt an Vorräten vorhalten muss. Zum Beispiel brauchte man auch ein Radio mit Batterien für einen Stromausfall. Das sind Dinge, die man mehr oder weniger verdrängt hat. Weil man diese Bedrohung nicht mehr so vor Augen hatte.
Das gleiche gilt auch für Sirenen. Wer wüsste von uns schon, was man bei welchem Sirenensignal machen muss? Das muss man trainieren und wissen, um entsprechend handeln zu können. Ich denke, da wird es in Zukunft auch eine Aufgabe sein, die breite Bevölkerung zu sensibilisieren. Und natürlich muss man auch immer wieder alle Institutionen entsprechend schulen.
Wir hatten zum Beispiel das Problem, dass an dem Abend der Digitalfunk ausgefallen ist. Wir konnten die Kommunikation mit analogem Funk aufrechterhalten. Aber nur, weil diese Funkgeräte noch in irgendwelchen Kellern lagen. Man braucht also großflächig ein System, auf das man im Katastrophenfall zurückgreifen kann.
SWR Aktuell: Also ist der Landrat oder die Landrätin nicht allein für das Krisenmanagement zuständig?
Gieseking: Ich denke, dass das so ist. Jedes Zahnrad muss ineinandergreifen. Alles muss gut funktionieren, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.
Katastrophenfall wurde für gesamten Vulkaneifelkreis ausgerufen
SWR Aktuell: Wie schwierig ist es denn, als Landrätin in einer solchen Situation die richtige Entscheidung zu treffen?
Gieseking: Ich denke, dass es wichtig ist, dass man eine Entscheidung fällt. Die wird nicht immer jedem gefallen. Aber die muss einfach gefällt werden. Als wir mit dem Katastrophenfall die Schulschließungen beschlossen haben. Da haben mit Sicherheit einige - zum Beispiel im Raum Gillenfeld, die nicht so stark betroffen waren - gesagt: Warum ist jetzt alles zu? Aber das ist dann einfach so. Und man muss das dann auch konsequent zu Ende denken und auch entsprechend handeln.
Natürlich kann man sagen, wir hätten das so nicht gebraucht. Aber ich bin froh, dass wir es gemacht haben. Man kann natürlich von außen überhaupt nicht sagen, wie andere Krisenstäbe arbeiten und reagieren, wenn man nicht dabei ist. Natürlich gibt es selbsternannte Experten, die im Nachhinein sagen können: Man hätte so oder so handeln müssen. Aber ich denke, von uns kann das niemand beurteilen und wir sollten uns auch nicht anmaßen, das zu tun.
Bessere Fahrzeuge für den Katastrophen-Fall
SWR Aktuell: Wie wird sich der Kreis Vulkaneifel nun nach der Katastrophe neu aufstellen?
Gieseking: Wir werden uns mit der technischen Einsatzleitung zu einem Rückblick und einem Ausblick zusammensetzen. Was wollen wir in Zukunft noch besser machen? Ein ganz großes Thema ist die Kommunikation. Wir konnten uns mit dem Analogfunk aushelfen. An einem System für die Zukunft müssen wir zusammen mit übergeordneten Stellen arbeiten.
Für uns in der Vulkaneifel ist es sicherlich wichtig, dass wir ein watfähiges Fahrzeug haben, mit dem man bis zu einem gewissen Grad durch Gewässer fahren kann. Wir konnten uns aushelfen mit Fahrzeugen der Polizei und der Bundeswehr. Aber in unserem Fuhrpark brauchen wir da auch eine Aufstockung. Weitere Details werden wir gemeinsam überlegen.
SWR Aktuell: Was ist Ihnen von der Flut besonders im Gedächtnis geblieben?
Gieseking: Ich war an den Tagen nach der Katastrophe in den besonders betroffenen Orten an der Kyll unterwegs. In Densborn habe ich an dem Donnerstag den Fahrstreckenleiter der Deutschen Bahn getroffen. Der Bahnhof dort war total überflutet, alles ist kaputt. Der Fahrdienstleiter hat mir gesagt: "Gestern Abend um 19:30 Uhr habe ich das Stellwerk aufgegeben." Das war für mich schon ein erschreckender Satz. Weil das so nach Kapitulation klang. Das ist mir noch sehr gut im Gedächtnis.
Das Interview führte SWR Reporterin Anna-Carina Blessmann im SWR Regionalbüro Gerolstein.